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Vom Office Sharing zum Desk Sharing



Wenn Beschäftigte heute jeden Arbeitstag an einem anderen Schreibtisch zu finden sind, dann hat das gewöhnlich nichts mit mangelndem Orientierungssinn zu tun. Dahinter steckt eine neue Strategie der Unternehmen, die auf Neudeutsch „Desk Sharing“ genannt wird. Im Prinzip geht es darum, leerstehende Schreibtische zu vermeiden und hierdurch Raum einzusparen. Wir haben Regine Rundnagel, die Beraterin für Arbeits- und Gesundheitsschutz ist, danach gefragt, was es damit auf sich hat, welche Nachteile für die Beschäftigten drohen und worauf sich die betriebliche Interessenvertretung einstellen sollte.

Hallo Regine, vielen Dank für die Bereitschaft zu diesem Interview. Desk Sharing ist ja ein großer Trend. Wie genau muss man sich das eigentlich vorstellen?

Beim Desk Sharing haben die Beschäftigten keinen festen Arbeitsplatz. Gewöhnlich werden sie also jeden Morgen auf die Reise geschickt und müssen sich einen noch freien Schreibtisch suchen. Da kann es aber auch schon mal zu Engpässen kommen. Denn grundsätzlich gibt es ja immer weniger Schreibtische als Angestellte. Dahinter steht der Versuch, durch die Vermeidung ungenutzten Raumes Kosten einzusparen. Gerade prestigeträchtige Standorte in Stadtzentren sind ja sehr kostenintensiv.

Die Frage ist aber: Was bedeutet es beispielsweise für die Beschäftigten, wenn sie morgens erst ihren Arbeitsplatz suchen müssen, oder wenn Menschen, die morgens immer einen Tick später kommen, weil sie erst ihre Kinder zur Kita bringen müssen, immer nur den wuseligen Arbeitsplatz im Durchgang abbekommen. In manchen Firmen ist es so, dass bei Überbelegung einfach die Kantine aufgemacht wird. Die Beschäftigten müssen dann an Tischen sitzen, die ergonomisch nicht als Arbeitsplatz taugen. Manche fahren dann lieber nach Hause und fangen um 11:30 Uhr frustriert im improvisierten Home Office die Arbeit an.

Wie lässt sich die Haltung der Beschäftigten zu diesem Thema beschreiben?

Unter den Beschäftigten gibt es hierzu völlig unterschiedliche Meinungen. Manche finden das ganz schick, kommen beispielsweise gerade von der Uni und kennen das nicht anders, hatten nie einen anderen Arbeitsplatz als Lounge oder Kantine. Auf dem Sofa schnell nochmal was machen mit dem Notebook: Geht ja alles. Auf Dauer ist so etwas aber problematisch. Wir sollen ja bis 70 durchhalten können.

Es ist also ganz klar auch ein Arbeitschutz-Thema. Was rätst du einem Betriebsrat, wenn er in einer Situation ist, in der die Beschäftigten mit Desk Sharing d‘accord gehen? Gerade junge Menschen scheinen die wohnzimmer-artigen Offices à la Coworking Space ja schick zu finden.

Man muss auch jungen Menschen, die das schick finden, ihre eigene gesundheitliche Situation bewusst machen. Wie bei allen Veränderungen geht es um Information, Aufklärung und Sensibilisierung. Wie sind die ergonomischen Bedingungen unter denen ich arbeite? Wie sehen die Konsequenzen für Schulter, Nacken und Augen auf Dauer aus? Ich habe nichts dagegen, dass man zwischendurch mal für ne Stunde auf dem Sofa in das Notebook klimpert. Aber es muss auch Arbeitsplätze geben, auf denen ich für ein paar Stunden wirklich gut arbeiten kann. Das ist auch zuhause auf dem Küchentisch nicht unbedingt der Fall. Da sieht man das Spannungsfeld und das Regelungsfeld für die betriebliche Interessenvertretung.

Und wie sollte der Betriebsrat konkret vorgehen?

Für den Betriebsrat ist es entscheidend, sich bei Neubauten, Umgestaltungsplänen oder Umzügen frühzeitig einzuschalten. Es muss ausreichenden zeitlichen Vorlauf schaffen, um die Beschäftigten informieren zu können und in eine Diskussion in Gang zu bringen. Beispielsweise ist die Umstellung von der klassischen Bürostruktur mit Zweier- oder Vierer-Räumen auf einen modernen Open Space ja ein richtig gehender Kulturbruch. Die Beschäftigten haben sich völlig anders zu verhalten als früher, was einen Lernprozess voraussetzt. Und hierzu muss man eben rechtzeitig den Fuß in den Planungsprozess bekommen! Das ist die wichtigste Aufgabe für den Betriebsrat.

Ganz wichtig ist auch, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen: Große Menschen benötigen andere Schreibtische als kleine. Ältere Menschen denken anders als Jüngere. Auch verschiedene Tätigkeiten implizieren verschiedene Anforderungen an den Arbeitsplatz: Entwickler arbeiten anders als Controller. Die Rechtsabteilung telefoniert nicht so viel wie der Vertrieb., etc. Die Firmen möchten Standards haben, aber dass geht oft an den Individuen und Tätigkeiten vorbei. In großen Räumen wird das Telefonieren oft zum Problem. Auch das Thema Home Office ist ja zweischneidig, weil ja langfristig der Kontakt zu den KollegInnen verloren gehen kann. Solche Widersprüche gibt es immer. Als Betriebsrat muss man mit solchen Widersprüchen umgehen. Das geht aber nur, wenn ausreichend Raum geschaffen wird, um das zu diskutieren und zu klären.

Worauf kann sich der Betriebsrat bei seinen Interventionen berufen?

Einerseits gibt es ja ein Recht des Betriebsrats auf frühzeitige Information. Und zwar nicht erst, wen wenn die Trockenbauer die Wände gestellt haben. Dieses Recht, bei den Arbeitsbedingungen mitzusprechen, muss der Betriebsrat gegenüber der Unternehmensführung durchsetzen. Zudem gibt es technische Regeln für Arbeitsstätten. Da sind die Anforderungen für die verschiedenen Tätigkeiten festgehalten. Die stärken den Betriebsrat auf jeden Fall und geben ihm Orientierung. In der Planung ist es vor allem wichtig, die Gestaltung der Räume nach den darin vollzogenen Tätigkeiten auszurichten. Dabei gibt es auch bestimmte psychische Belange. Auf dieser Basis muss dann auch die Gefährdungsbeurteilung erstellt werden – und zwar vorab, nicht hinterher.

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