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Kriterien für die Betriebsratswahl-Partizipation

Aktualisiert: 4. Apr. 2022

Wie die Geschäftsstelle Schweinfurt über Kompetenzfelder” die Betriebsratswahl partizipativ auf ein neues Level hebt

Die Reaktion im Gespräch mit Thomas Höhn, Bevollmächtigter Geschäftsstelle Schweinfurt Wie finden wir Bewerber*innen, die Ihre Fähigkeiten richtig einschätzen? Wie kann ich diese auf künftige Aufgaben und Fallstricke vorbereiten, ohne sie zu entmutigen oder abzuschrecken? Die Kolleg*innen aus Schweinfurt haben dazu eine Vorgehensweise entwickelt, die bereits 13 Betriebe intensiv nutzen. Was sich hinter diesem Prozess verbirgt, das haben wir Thomas Höhn gefragt.

Redaktion: Lieber Thomas, danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Ich kann mir vorstellen, dass ihr mit der Vorbereitung der BR Wahl alle Hände voll zu tun habt. Und genau das ist das Stichwort. Wir haben gehört, dass ihr 2018 einen anderen und ziemlich erfolgreichen Weg in der Vorbereitung der Wahl eingeschlagen habt und diesen Weg auch jetzt wieder geht. Das macht uns natürlich neugierig. Was genau macht ihr eigentlich anders – wie begleitetet ihr die Wahl in Schweinfurt?

Thomas Höhn: Wir treten im Vorfeld der Wahl mit unseren Kolleginnen und Kollegen strukturiert in einen intensiven Dialog und reden über unsere Vertrauenskörperleiter mit den Kandidat*innen über ihre fachlichen und kommunikativen Kompetenzen.

Ich glaube, das ist ein ganz zentraler Punkt.

Das Fachliche steht natürlich zu Recht im Fokus. Es ist wichtig, dass die Betriebsrät*innen erstens wissen müssen, wie das Betriebsverfassungsgesetz funktioniert und wie es um den Arbeits- und Gesundheitsschutz steht. Das ist das erste Kompetenzfeld. Aber wir glauben auch, dass zweitens ein erweitertes Rollenverständnis von Bedeutung ist: Wie ordnet sich eigentlich diese Betriebsratstätigkeit in das große ganze Feld der Interessenvertretung, die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft und ähnliches ein. Und das dritte Feld ist dann das Methodische, um die Kraft auf die Straße zu bekommen.

Es ist also ein gesamtheitlicher Blick. Das ist unser Ansatz.

Zusammengefasst haben wir durch den Fokus auf diese drei Kompetenzfelder eine Möglichkeit gefunden, über unsere Vertrauenskörperleiter, mehr Einfluss auf die Erstellung der Vorschlagslisten zu nehmen. Wir haben somit einen Prozess entwickelt, der erfahrenen Betriebsrät*innen hilft, ihre Position zu reflektieren. Und diejenigen, die neu auf dem Weg sind, erleben durch unsere Felder ganz gut, was auf sie zukommen kann und welche Anforderungen hinter so einem Betriebsrat-Mandat stecken. Und wir können relativ gezielt Bildungsbedarfe erkennen und absprechen, wo wir nochmal nachjustieren müssen.

Das ist die Idee, die wir im Rahmen der letzten BR-Wahl entwickelt und bereits erfolgreich ausprobiert haben. Aktuell finden auf Grundlage unserer ersten Erfahrungen in vielen Betrieben wieder ähnliche Gespräche statt.

Redaktion: Okay, aber wie läuft der Prozess konkret ab, und können andere Betriebe diesen einfach so kopieren?

Thomas Höhn: Jeder Prozess ist anders, und das muss er auch sein. Trotzdem haben wir rund um die drei Kompetenzfelder handhabbare, aber allgemeine Reflexionsbögen entwickelt. Mit diesen Fragebögen und dem dazugehörigen Prozess können diejenigen, die für die Erstellung der Vorschlagslisten im Betrieb verantwortlich sind, eine Diskussion über Inhalte führen. Sie können die Themen identifizieren, die im Betrieb besonders wichtig sind und dann mit ausgewählten Kanditat*innen die nötigen individuellen Kompetenzen abfragen. Die Fragebögen sollen dabei eine Hilfestellung sein und dafür sorgen, dass Mensch dabei nicht oder zumindest nicht so schnell ins Persönliche abrutscht.

Unser Fokus liegt dabei auf der individuellen Ebene: Die Kernfrage ist ja: Wie kriegen wir es hin, dass wir uns tatsächlich über individuelle Stärken und Schwächen unterhalten können, über mögliche und notwendige Entwicklungswege und über die gezielte Qualifizierung? Darauf müssen sich natürlich diejenigen, die dieses Gespräch führen, einlassen können. Das funktioniert mal besser, mal schlechter. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die da sehr dankbar für dieses Angebot sind. Wir haben Vertrauenskörperleiter und Verantwortliche, die diese Gespräche führen, die das wertschätzend umsetzen können. Trotzdem gibt es natürlich auch Konflikte. Diese sind gewollt und gewünscht. Im Betriebsrat gibt es den ja auch! Das entscheidende ist zum einen eine echte, aufrichtige Feedback-Kultur.

Zum anderen setzt so ein Prozess Vertrauen voraus. Und das ist in den Betrieben sehr unterschiedlich ausgeprägt. Kein Betrieb ist gleich und manchmal sind die Konfliktfelder so heftig, dass es besser ist, auf solche individuellen Gespräche zu verzichten.

Das bedeutet, dass der Ablauf von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich ist. In seiner reinsten Form werden die Bögen ausgegeben und dann in gemeinsamen Terminen diskutiert, ähnlich wie in einem Mitarbeiter*innen-Gespräch. In der schwächsten Form werden die Kompetenzfelder in einer Gruppen-Veranstaltung vorgestellt und an die Kandidat*innen appelliert, sich Zeit zu nehmen, um Ziele und die eigenen Fähigkeiten zu reflektieren.

Entscheidend ist, dass diese Entscheidung, wie vorgegangen wird, gemeinsam abgestimmt und demokratisch legitimiert ist und alle Bescheid wissen. Was alle Prozesse vereint und für uns ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist: Die Vertrauenskörper sind zentral in jedem Prozess integriert und sind bei allen Gesprächen dabei. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.



Redaktion: Wie kam es überhaupt dazu, dass ihr den Prozess neu aufgelegt habt?

Thomas Höhn: Der Auslöser war Unzufriedenheit. Bei uns und den Spitzen aus Betriebsrat und Vertrauenskörperleitung. Bildlich gesprochen hatten wir das Gefühl, dass in unserem Boot viele mitfuhren, aber nicht mitruderten. Dass viele auf unseren Listen sitzen, und den IG Metall Stempel bekommen, ohne dass sie unsere gewerkschaftlichen Werte teilen, ohne ein einziges Mitglied zu gewinnen, zu keiner Veranstaltung kommen und teilweise sogar gegen uns arbeiten. Das wollten wir ändern.

Dann haben wir uns die Frage gestellt, wie das gelingen kann. Klar war, dass wir mit den Kolleg*innen ja eh sprechen müssen und ihnen erklären müssen, warum sie nicht mehr und nicht mehr so prominent auf den oberen Listen bleiben können. In einer unserer Klausuren haben wir dann von dem Kollegen Mathias Möreke gehört. Er hat bei Volkswagen einen ähnlichen Prozess angestoßen. Das haben wir als Inspiration genommen, vor allem die Überschriften, und daraus unsere eigenen Anforderungen abgeleitet, in einem partizipativen Prozess, mit allen VK-Leiter*innen. Aus diesen Ergebnissen haben wir dann, was uns insbesondere wichtig war, einen einfachen Prozess mit handhabbaren Listen gemacht, die wir in diesem Jahr noch weiterentwickelt und vereinfacht haben. Man muss die Hürden ja nicht unnötig erhöhen.

Redaktion: Was hat dich denn bei der Arbeit mit den Kompetenzfeldern am meisten beeindruckt?

Thomas Höhn: Die Dankbarkeit der Kolleg*innen und ihre Offenheit zur Veränderung. Niemand sagte: Was für einen Quatsch habt ihr euch da denn ausgedacht!?

Ein Erfolgsindikator ist meiner Ansicht nach, dass es einen ganz großen Wunsch in den Betrieben gab, die Kompetenzfelder auch für diese Wahl zu nutzen und mit unseren Erfahrungen neu aufzulegen. Ich bin sehr gespannt, was jetzt passiert, da die Umsetzung von Betrieb zu Betrieb variiert: von sehr intensiv und bestimmt bis lax. Dieses Jahr gibt es eine deutliche Verschiebung hin zu einer sehr viel härteren, konsequenteren Anwendung als beim letzten Mal.

Denn gerade die Betriebe, die die Gespräche zur Voraussetzung gemacht haben, berichten von einer deutlichen Veränderung in ihrer Kultur, die auch messbar ist. Die Betriebsräte sind motivierter und engagierter, kommen zu den Veranstaltungen und erkennen ihre Verantwortung deutlich stärker an. Sowas spricht sich rum, und jetzt ziehen andere Betriebe nach. Das freut mich natürlich. Was mich persönlich sehr bewegt hat, war der gesamte Entstehungsprozess – von der ersten Idee bis zur Umsetzung. Die Auseinandersetzungen und dieser Wille, gemeinsam etwas zu verändern. Denn so ein Prozess braucht Zeit.

Und natürlich auch vielen tollen Gespräche, die ich rund um die Kompetenzfelder hatte. Besonders beeindruckt hat mich ein Kollege, der nach der Selbstreflexion entschieden hat, dass er den Anforderungen nicht gerecht wird und nicht kandidieren wird. Ich fand es schon sehr bemerkenswert, dass es uns gelungen ist, diese immense Verantwortung, die man in diesem Amt auch annimmt, klarzumachen. Aber: Wir wollen in diesem Prozess nicht rüberbringen, dass jeder und jede alle Anordnung 100-prozentig erfüllen muss, um ein guter Betriebsrat zu sein. Wir wollen ja auch niemanden abschrecken! Es geht darum, eine Hilfestellung zu geben, sich das Amt und mögliche Entwicklungspfade richtig einzuschätzen. Das bedarf einem gewissen Maß an Fingerspitzengefühl.

Redaktion: Mit Blick auf die nächste Wahlperiode - wie geht es jetzt weiter, woran “feilt” ihr noch?

Thomas Höhn: Mich beschäftigt einerseits die Weiterentwicklung des Projektes. Die Kompetenzfelder reihen sich bei uns voll in die Bildungsplanung ein. Es gibt einen globalen und einen individuellen Prozess. Der globale Prozess geht darauf ein, wo die Gremien hinwollen und wo sich die grundsätzlichen Schwerpunkte befinden. Der individuelle Prozess kommt von der Seite der Personen und analysiert, wo die Kompetenzen und die Energien liegen. Und wenn das gut gemacht ist, dann gehen die individuellen Prozesse in einer globalen Bildungsplanung auf.

Andererseits beschäftigt mich, wie wir das nachhaltiger gestalten können, wie wir das losgelöster von der Wahl als Thema setzen und verankern können. Wie lernen wir diese Feedback- und Konfliktfähigkeit in der Zusammenarbeit zu kultivieren und als Team zusammenzuwachsen? Wie können wir neben dem Feedback und auch der notwendigen Kritik gleichzeitig auch Lust darauf machen, Betriebsrät*in zu werden. Und wie können wir den Gestaltungsspielraum besser vermitteln? Darauf müssen wir künftig noch mehr Acht geben! Redaktion: Lieber Thomas, vielen Dank für deine Zeit!


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