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Treiber einer sich schnell ändernden Arbeitswelt und die künftige Rolle der Gewerkschaften

Aktualisiert: 27. Juli 2021


Franz Kühmayer spricht in seinem Gastbeitrag über die künftige Rolle des Menschen in der Wertschöpfung
Franz Kühmayer spricht in seinem Gastbeitrag über die künftige Rolle des Menschen in der Wertschöpfung

Mit Maschinen konkurrieren? Uns ständig mit ihnen messen? „Schluss damit“, fordert der Zukunftsforscher Franz Kühmayer. Stattdessen sollten wir uns auf uns selbst besinnen. In seinem Statement erklärt er einerseits die wesentlichen transformativen Faktoren, die die Entwicklung unserer Arbeit und Gesellschaft in den nächsten Jahren bestimmen werden. Andererseits formuliert er, welchen Auftrag die IG Metall in diesem Szenario hat. Ohne Umschweife: Gegenwärtig können wir beobachten, dass Arbeit und Gesellschaft unterschiedlichen Veränderungen unterworfen sind. Das hat Gründe.

1. Strukturwandel der Arbeit

Arbeit ist zunehmend entgrenzt. In der Vergangenheit haben wir gesagt: „Ich fahre zur Arbeit.“ Arbeit wurde in diesem Zusammenhang nicht als Tätigkeit verstanden, sondern als ein Ort und eine Zeit. Wenn man beispielsweise in einem Büro als Sachbearbeiter*in tätig war, musste er*sie zu einer bestimmten Zeit ins Büro fahren, weil dort die Produktionsmittel versammelt waren. Dort waren die Akten, dort war das Festnetztelefon, dort war die Schreibmaschine – also alles, was man gebraucht hat, um arbeiten zu können. Im Umkehrschluss konnte man nicht mehr arbeiten, wenn man sich von diesem Ort entfernt hatte. Heute ist das bei vielen Menschen nicht mehr so: Nicht wenige tragen die digitalen Arbeitsmittel ständig in der Westentasche mit sich herum. Man kann theoretisch ständig und überall arbeiten. Das führt zu einem Strukturwandel der Arbeit. In geografischer oder globaler Hinsicht heißt das: Tätigkeiten können international verschoben werden.


2. Wertewandel der Gesellschaft

In historischer Sicht verändern sich Werte ständig, weswegen der Wertewandel zunächst nichts Neues ist. Wenn wir uns die Fragen stellen: Was macht gute Arbeit aus? Wie sieht eine gelungene Karriere aus? Was muss ein guter Arbeitgeber tun? Wann ist ein Job toll? – dann bekommen wir völlig unterschiedliche Antworten, abhängig davon, ob wir ältere oder jüngere Menschen fragen. Dieser Wertewandel sorgt dafür, dass sich die Unternehmen heute völlig anderes positionieren müssen. Sie müssen am Arbeitsmarkt anders auftreten, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Im unmittelbaren Zentrum steht heute die Frage nach dem Sinn. Denn immer mehr Menschen erkennen, dass Arbeit mehr ist als Einkommen.

"Etwas Sinnvolles mit dem eigenen Leben zu tun, ist die Erwartung vieler Beschäftigten. Sie verändert den Arbeitsbegriff."

Es geht um die Frage nach Sinn und Wertschätzung im Leben. Denn Menschen haben tief in sich drinnen das Bedürfnis, gebraucht zu werden, etwas Sinnvolles mit dem eigenen Leben zu tun und einen Beitrag zu leisten zu etwas Größerem. Sicherlich ist das unterschiedlich stark ausgeprägt. Aber ich spreche hier trotzdem von tief menschlichen Bedürfnissen. Von Grundbedürfnissen. Seit den soziologischen Untersuchungen der 1930er Jahre (wie beispielsweise "Die Arbeitslosen von Marienthal"*) wissen wir, dass die reine ökonomische Befriedigung eben nicht ausreicht. Das heißt, wenn wir beispielsweise über das bedingungslose Grundeinkommen nachdenken, dann ist das schon die richtige Richtung. Andererseits reicht dies aber nicht aus, weil wir die Menschen auf diese Weise nur ruhig stellen, ohne ihnen einen Sinn zu geben. Die Bedeutung der Arbeit für das Leben wird hierbei nicht ausreichend berücksichtigt.

3. Technologisierung / Digitalisierung

In diesem Punkt stellt sich die Frage, wozu wir Menschen in Zukunft noch gebraucht werden bzw. nützlich sind. Was unterscheidet uns von den Maschinen? Und ich habe da eigentlich eine hoffnungsvolle optimistische Perspektive, denn ich denke, dass wir durch die Digitalisierung näher zu unserer Menschlichkeit gebracht werden. Denn den Wettlauf um das, was die Maschinen können, haben wir bereits auf der Startlinie verloren. Wir können nicht in Anspruch nehmen, dass wir schneller denken, analysieren oder rechnen können. Wir können auch nicht mit Fakten oder großen Datenmengen besser umgehen als ein Computer. Das ist Unsinn. Interessanterweise tun wir uns als Menschen sehr schwer damit, mit diesem Umstand umzugehen. Wir versuchen zwar nicht schneller zu laufen als ein Auto fahren kann – da haben wir uns damit abgefunden, unterlegen zu sein – aber beim Denken haben wir immer noch Vorbehalte.


Was Maschinen derzeit und auf lange Sicht nicht können werden sind zwei Sachen – und diese beiden Sachen machen uns als Menschen ganz besonders aus: Wir sind schöpferische Wesen und wir sind soziale Wesen. Wir wollen lernen, uns entwickeln, die Welt entwickeln und etwas Neues schaffen. Schöpferisch. Und wir brauchen andere Menschen für unser Lebensglück. Beides sind Dinge, die Maschinen nicht können und brauchen. Und daher werden alle Tätigkeiten und Berufe, bei denen das Schöpferische und Soziale im Mittelpunkt stehen, an Bedeutung gewinnen – auch an ökonomischer.


Was folgt daraus?

1. Wenn man das konsequent weiterdenkt, muss ein realistischer Schluss lauten: Fachliche Weiterqualifikation ist dann falsch, wenn es darum geht, das Rennen gegen die Maschinen zu gewinnen! Fachliche Weiterqualifikation ist nur dann der richtige Weg, wenn dieser in einer Ausweichbewegung gewissermaßen auf ein Nebengleis führt. Es darf nicht darum zu gehen, besser zu denken als die Maschine, sondern darum, anders zu denken als diese. Und dieses „Anders“ steckt im Kern des Humanismus.


2. Wenn ich mir diese drei Entwicklungen ansehe, erkenne ich eine frohe und erlösende Botschaft. Denn sie bedeuten nichts weniger als den Ausbruch aus unserer (eventuell) selbst verschuldeten Unmündigkeit. Sie geben uns die Möglichkeit, viel freier und selbstbestimmter zu arbeiten als wir das in der Vergangenheit getan haben. Gleichzeitig gehen auch viele wichtige Dinge in unserem Leben damit verloren. Beispielsweise Orientierung, Struktur und Sicherheit. Der richtige Umgang mit diesen Verlusten ist eine wesentliche Kompetenz. Daher ist die Bereitschaft zur Veränderung und zum stetigen Weiterlernen von wesentlicher Bedeutung.

3. Es ist wichtig, dass wir in diesem Kontext nicht nur auf der Mikroebene nachdenken – also auf den einzelnen Arbeitsplatz oder das einzelne Unternehmen bezogen –, sondern dass wir uns bewusst werden, dass diese drei Entwicklungen in gesamtgesellschaftlicher und globaler Hinsicht große Veränderungen mit sich bringen werden. Dazu gehört leider auch die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Wir haben zunehmend das, was wir fragmentierte Arbeitsverhältnisse nennen – also sehr unterschiedliche Arbeitszeiten, Arbeitsorte, Qualifikationen, etc. Das alles durch eine einzige Interessenvertretung unter einen Hut zu bekommen wird zunehmend schwieriger. Wir brauchen einen zivilgesellschaftlichen Schulterschluss, um die Gesellschaft weiterzuentwickeln und um die gute Arbeit weiterzuentwickeln. Dabei müssen (und sollten) wir nicht alle gleicher Meinungen in partnerschaftlich geführten Diskussionen zu den großen Fragen der Zeit: Wie sollen Arbeit und Gesellschaft künftig aussehen? Wie bringen wir die widerstreitenden Interessen aus Umwelt und Wirtschaft zusammen? Der Schlüssel dazu ist, mehr mit- und weniger übereinander sprechen. Wir müssen Sorge tragen, dass wir ein gemeinsames Vokabular haben, wenn wir über die Zukunft sprechen.


Fazit: Die Rolle von Interessensvertretern bzw. Gewerkschaften

Welchen Aufgaben ich für Interessensvertretungen wie die IG Metall sehe? Erstens geht es darum, Benachteiligte zu schützen und unterstützen. Zweitens müssen die Gewerkschaften kritische und negative Entwicklungen erkennen und thematisieren. Denn wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Drittens müssen sie konstruktive Lösungen für die Zukunft entwickeln. Sie haben also in der Summe eine: Schutzfunktion, eine Warnruffunktion und sind Innovationstreiber. Das sind für mich die drei wesentlichen Zukunftsaufträge für die IG Metall.

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Franz Kühmayer forscht am Zukunftsinstitut und ist u.a. Experte für das Thema „Zukunft der Arbeit“. Er hat Konzernvergangenheit und war lange als Manager in der IT-Branche tätig, bevor er seinen ureigenen Interessen folgte und in die Wissenschaft und Unternehmensberatung wechselte. Antworten zu finden auf die Frage, wie sinnvolle Reaktionen auf technologische und soziale Entwicklungen der Gegenwart aussehen können, versteht er als seinen persönlichen Beitrag zur Schaffung einer besseren Welt.


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