Interview mit Martin Böhmer
Lieber Martin, Danke zunächst, dass wir uns in Deinen vollen Terminkalender schmuggeln konnten. Wir möchten mit Dir über Deine Erfahrungen als Veränderungs-Promotor sprechen. Los geht's. Wie hast Du den Prozess des Projekts Die IG Metall vom Betrieb aus denken bisher erlebt?
Den Prozess habe ich als total spannend erlebt. Der Ansatz ist in einem Satz: Unterschiedliche Aktive, also Gewerkschaftssekretär*innen, BR, VL, ggf. die Bildungszentren und auch einfache Mitglieder, sprich alle, die auf mehr Bock haben als nur Beitrag zu zahlen – setzen sich gemeinsam hin und arbeiten gemeinsam gewerkschaftliche und gesellschaftspolitische Themen aus dem Arbeitsalltag heraus. Dann werden diese Themen in kleinen Projekten gedacht und vor allem angegangen! Diese stärkere Zusammenarbeit, der Austausch und die Vernetzung zwischen allen Ebenen, das fand ich super!
Was ist denn der entscheidende Unterschied zu früher?
Dass wir von vornherein alle einbinden. Natürlich gab es früher auch die Betonung von einzelnen Themen, die sind aber immer eher von Gewerkschaftsseite an uns rangetragen worden, vllt. auch mal vom Betrieb, dann haben wir maximal die Vertrauensleute mit dazu geholt, aber das war es dann auch schon. Wenn man viele Jahre BR-Arbeit macht, dann kann es schon mal sein, dass wir die Menschen glatt vergessen. Jetzt haben wir Werkzeuge zur Hand, wie beispielsweise die Aktivierenden Umfragen zu drängenden betrieblichen Themen, die uns helfen tatsächlich beteiligungsorientiert zu sein. Ehrlich gesagt frage ich mich manchmal, warum wir uns früher nicht alle an einen Tisch gesetzt haben.
Vielleicht weil Ihr eben diesen Tisch ohnehin voll habt mit 1.000 anderen Sachen, die gerade drängen?
Ja, das kann sein. Aus meiner Erfahrung der letzten Monate allerdings kann ich sagen, dass jeder einzelne im Schnitt jetzt weniger Arbeit hat. In unseren Runden spüre ich eine Welle und Energie, dass alle mitziehen möchten.
Und? Tun sie es?
Wir waren in unserem Fall zwei von insgesamt elf Mitgliedern, die zu Veränderungs-Promotor*innen ausgebildet wurden. Als Erstes ging es ja auch darum, unser Gremium über das in der Projektreihe neu Erlernte zu informieren und zu begeistern. Als die erste Skepsis gegenüber unserem Ansatz, betriebliche Themen als Projekte anzusehen und auch in Projektetappen abzuarbeiten, verflogen war, sind wir die ersten Themen angegangen. Wir haben sicherlich noch einen Weg vor uns, aber mittlerweile ist auch das restliche Gremium überzeugt, gemeinsam so weiterzuarbeiten.
Was heißt das überhaupt, Themen als Projekte anzusehen?
Ploppt ein Thema auf, oder erkennen wir Relevantes vorab, brauchen wir klare Absprachen, wer hat wann, was zu erledigen. Wir protokollieren das auch, dann hast Du in der Projektphase klare Zuständigkeiten, klare Zeitläufe – selbst wenn es mal länger dauert. Wichtig ist, am Ball zu bleiben.
Das klingt irgendwie stressig. Ergeben sich daraus nicht auch interne Spannungen? Kommen diese Absprachen und diese Arbeit für die Kolleg*innen nicht noch on the top?
Nicht unbedingt, denn vorher haben alle im Kleinen Ihr Süppchen gekocht, das hat ja auch Zeit gekostet. Jetzt packen wir’s zusammen an. Das Geheimnis ist, erstens jeden und jede nach Stärken einzusetzen. Zweitens ziehen wir Leute aus dem Beschäftigtenkreis hinzu, gerade bei IT-Themen, wenn wir die Ressourcen nicht haben. Dazu kannst Du E-Mails an Kolleg*innen versenden, Flyer verteilen, und fragen, ob nicht jemand Bock hätte bei diesem oder jenem Thema mitzuarbeiten. Das funktionierte insbesondere beim Thema Gleitzeit gut, weil das viele betrifft. Die Hinzugezogenen waren auch Multiplikator:innen und Botschafter*innen unserer Arbeitsweisen und Erfolge. Oder Du rufst in Deiner Geschäftsstelle an und bittest sie, jemanden vorbeizuschicken, der Dich aufschlaut.
Verlierst Du da nicht manchmal den Überblick?
Als Veränderungspromotor in meiner Funktion als VL-Körperleitung muss ich einzelne Projekte an mich ziehen, und auch wie jeder priorisieren: Welche Aktion wollen wir starten, was brauchen wir, die Leute schon mal antriggern, bereits einen Spannungsbogen aufbauen, zum Beispiel bereits jetzt die nächste Tarifrunde in den Köpfen verankern. Wir haben in NRW bereits Sommerferien, da können wir nicht hinterher uns zum ersten Mal damit befassen und hinterher lahm auflaufen. Da sprechen wir im Vorfeld alle an, die Beitragszahler:innen sind. Darunter sind übrigens auch Personen, die wollen in Zukunft nicht unbedingt dabei sein, aber jetzt. Das ist auch okay!
Was gibst Du uns mit auf den Weg? Welche Erwartungen leiten sich für Dich an die gewerkschaftliche Bildungsarbeit aus dem Projekt ab?
Macht jetzt genau da weiter, was wir Teilnehmer*innen auch erlebt und genossen haben. Die Werkzeuge aus der Promotor*innen Reihe müsst ihr in die Bildungsarbeit einfließen lassen, um noch mehr Kolleg*innen daran teilhaben zu lassen. Ich fand auch die klare Unterteilung in Lernphasen und Arbeitsphasen sehr angenehm und spannend. Wir haben beispielsweise in zunächst uns angeguckt, wie wir Filme machen, worauf es 2022 ankommt, welche Medien und Kanäle es gibt, und dann in Phasen im Betrieb darauf aufgebaut, uns ausprobiert, und tatsächlich ein Drehbuch geschrieben. Das Feedback und die Erfahrungen haben wir dann wieder mit in die nächste Lernphase reingenommen. Martin, Du hast das letzte Wort: Was gibst Du Deinen Kolleg*innen und uns mit auf den Weg? Ja, wir machen es gemeinsam, und deshalb können wir beinahe sämtliche Ziele durchsetzen. Aber nicht jedes Projekt kann erfolgreich abgeschlossen werden. Da müssen wir realistisch sein. Das befreit uns auch in der BR-Arbeit. Das ist wie beim Fußball: Mensch kann ja nicht jedes Spiel gewinnen.
Martin Böhmer ist Vertrauenskörper-Leiter bei Thyssenkrupp Rothe Erde und Veränderungs-Promotor im IG Metall Prozess: Die IG Metall vom Betrieb aus denken.
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