top of page

145 Ergebnisse gefunden für „“

  • Wege aus der Krise. Eine Diskussion über wichtige gesellschaftliche Weichenstellungen

    Krise überall. Sie ist Schreckgespenst und Lehrmeister zugleich. Was wir als Gesellschaft aus Corona lernen können, fragte sich der Online-Lesekreis vom Bildungszentrum Schliersee. Die textliche Grundlage bildete der Text "In der Krise die Weichen stellen. Die Corona-Pandemie und die Perspektiven der Transformation." von Alex Demirović. Der Grundtenor ist: Lasst uns mit der Normalisierung von Krisen aufhören. Aber Wie? Wir haben Maximilian Fichtner und Fabian Menner, die Initiatoren des Lesekreises, angesprochen, um über die Vorschläge des Autors und über die Bedeutung des Lesens für uns GewerkschafterInnen zu sprechen. NBR-Redaktion: Hallo ihr beiden! Danke, dass ihr euch die Zeit nehmt! Wenn ich den Text von Demirović recht verstanden habe, geht es dem Autor zunächst nicht um Wege aus der Krise, sondern um die Frage, wie wir da überhaupt hineingeschlittert sind. Ist der Kapitalismus ein fleißiger und stetiger Krisen-Produzent? "Zwei-Klassen-Gesundheitssysteme, wie wir sie dieser Tage in Italien oder den USA kennenlernen, beschleunigen die Krise." Maximilian: Die sozialen Probleme, die sich jetzt in Zeiten von Corona offenbaren, waren auch schon zuvor da oder zumindest in den herrschenden sozialen Verhältnissen angelegt. Unerwartete Ereignisse wie die Corona Pandemie, die sich nun als Wirtschaftskrise äußert, wirken katalytisch, das heißt als Prozessbeschleuniger auf die transformatorischen Veränderungen. Die Welt, in der wir Leben ist komplex. Ohne andauernde Veränderung kann es gar keine stabilen Verhältnisse geben. Manchmal sind diese stetigen Veränderungen aber derart tiefgehend, dass sie epochale Umbrüche darstellen. Was bei derartigen Umbrüchen rauskommt, ist offen. Rosa Luxemburg hat das zugespitzt mit ihrem Ausspruch: „Sozialismus oder Barbarei.“ Aber bei allem, was seit der Krise in Bewegung gekommen ist, will Demirović sogar infrastruktur-kommunistische Momente festgestellt haben. NBR-Redaktion: Was meint er damit genau? Fabian: Den Begriff „Infrastukturkommunismus“ übernimmt er von Wolfgang Streeck. Einerseits weist er darauf hin, dass wir für globale Pandemien auch eine globale Gesundheitsinfrastruktur benötigen – beispielsweise europäische Forschungseinrichtungen. Andererseits geht es auch darum, dass die Gesundheitssysteme nicht wirtschaftlicher Rationalisierung und Optimierung unterworfen sein sollten. Es muss Gewährleistet sein, dass jedeR Zugang zur vollen medizinischen Gesundheitsversorgung erhält, unabhängig davon wie die Person versichert ist. Gewinnorientierten oder kaputtgesparten Gesundheitssystemen fehlen ganz einfach die notwendige Zahl an Intensivbetten und diese werden noch dazu ungleich auf die Bevölkerung verteilt. "Jene neoliberalen Wirtschaftsexperten, die für kurze Zeit verstummt waren, haben schon wieder begonnen, ihr marktradikales Mantra anzustimmen." NBR-Redaktion: Der Kapitalismus scheint sich in der Krise selbst zu konterkarieren – in dem Sinne, dass statt Selbstoptimierung, Wettbewerb und Konsumismus neuerdings wieder Solidarität und Selbstbeschränkung gefordert werden. Maximilian: Die kapitalistischen Verhältnisse konterkarieren sich in diesem Sinne nicht selbst. Diese Verhältnisse sind nicht so totalitär, dass es nichts gäbe, was nicht auf den Kapitalismus zurückzuführen wäre. Und wir sind den Verhältnissen nicht in totaler Ohnmacht ausgeliefert. Solidarität ist ein dezidiert nicht-kapitalistisches Moment von gesellschaftlicher Gegenmacht. Der Kapitalismus konterkariert sich nicht selbst, es sind die Menschen, die diese Verhältnisse durchkreuzen, ihre Ohnmacht abstreifen und sich einer kapitalistischen Krisenverwaltung verwehren. Momentan sind es nicht die Unternehmensberater und Lobbyverbände, die die Politik bestimmen, sondern VirologInnen, EpidemologInnen und andere WissenschaftlerInnen. Dass die freie Wissenschaft Gehör in der Politik findet, ist toll, aber leider keine Selbstverständlichkeit. Mittlerweile dominieren in dieser Hinsicht ja eher wieder die sogenannten "Wirtschaftsexperten"... "Umbrüche bergen ein widersprüchliches Spannungsfeld von Möglichkeiten." Maximilian: Stimmt! Seit dem Ausbruch der Pandemie beobachten wir verschiedene Momente, die beiderlei Möglichkeiten erahnen lassen: Einerseits werden autoritäre Sehnsüchte kundgetan, es sind vermehrt Rufe nach „dem starken Mann“ zu vernehmen. Andererseits erleben wir Momente von Solidarität, nicht-kapitalistisch organisierter Selbsthilfe und dem in Anspruch nehmen von Würde. Diese Momente sind wohl das, was Marx in seinen philosophischen Schriften als „die wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt“ bezeichnet hat. NBR-Redaktion: Wodurch zeichnet sich das Denken und Handeln der Neoliberalen im Kontext der Krise aus? Was ist problematisch daran? Fabian: Im Text wird ja nicht nur die Covid 19-Pandemie, sondern ja auch die Finanzkrise von 2008, die Flucht- und Migrationsbewegungen seit 2010 oder die Klimakrise angeführt. Nach Demirović besteht das typische Vorgehen der Verantwortlichen nicht in der Unterbindung von Ursachen, sondern in der Risikoabschätzung, wodurch „unnormale“ Phänomene in die Normalität überführt werden. Statt entschieden zu handeln, werden beispielsweise, im Kontext der Klimakrise, Überschwemmungen oder Waldbrände so dargestellt, dass sie kalkulierbar werden. "Auch im Kontext der Corona-Krise zeigt es sich, dass wir zur Normalität der Kapitalakkumulation und des Wiederaufbaus zurückkehren, statt eine grundsätzlichen System- oder Kurswechsel einzuschlagen." NBR-Redaktion: Was schlägt Demirović also vor? Maximilian: Statt in diesem Normalisierungsprozess erhebliche Freiheitsbeschränkungen in Kauf zu nehmen oder neue Kontroll-Apparaturen auszubauen, sollten wir die Verhältnisse reorganisieren. Denn: Für ihn hat Corona gezeigt, dass viele von uns nachdenklich geworden sind und das Verhalten zueinander geändert haben. Wir alle konnten das sehr schnell! Und wir sind durchaus dazu fähig, die Wirtschaft ein Stück weit herunter zu fahren, ohne dass wir uns gleich völlig zerstören. Der Reichtum ist da. Da, wo sich in den versteinerten Verhältnissen Risse auftun, schimmert die Möglichkeit hervor, den Reichtum von seiner Warenförmigkeit zu befreien, das heißt, den Reichtum zu vergesellschaften. Aufgrund des vorhandenen Reichtums und der hohen Produktivkräfte wäre es schon längst möglich, nachhaltigere Wirtschaftskreisläufe zu entwickeln und für allgemeine Wohlfahrt zu sorgen. "Demirović erkennt die Möglichkeit, die Denormalisierung transformatorisch zu wenden." NBR-Redaktion: Wie seid ihr eigentlich auf die Idee gekommen einen Online-Lesekreis durchzuführen? Maximilian: Als gewerkschaftliche Bildungsreferenten haben wir die Nachfolge der Gewerkschaftsbibliothekare angetreten. Wir stehen in der Tradition der proletarischen Lesezirkel und der Vorleser in den Tabakfabriken, die es in den Anfängen der ArbeiterInnenbewegung gab. Intellektuelle Auseinandersetzung ist die grundlegende Bedingung, um demokratische Lebensformen entwickeln zu können. Es führt kein Weg vorbei am Lesen des geschriebenen Wortes und dem nachdenklichen Sprechen über das zuvor Gelesene. Gerade die Dynamik des Wandels zeigt doch: Wir benötigen eine intellektuelle Vorstellung davon, was um uns herum gerade passiert. Wer die Veränderungen lediglich ohne theoretisches Verständnis verspürt, aber sein Bewusstsein nicht auf Tuchfühlung mit den in Veränderung begriffenen Verhältnissen schärft, kommt schnell auf krude Ideen oder Welt-Erklärungshilfen. Der Antisemitismus ist so ein Beispiel... "Wir dürfen ja gerade erleben, dass Verschwörungsmythen wieder en vogue sind… Ohne Bildung und Bewusstsein ist Emanzipation undenkbar." NBR-Redaktion: Und wie ist denn der Text eigentlich unter den Teilnehmenden aufgenommen worden. Wie war die Diskussion? Und was sind die Ergebnisse? Maximilian: Derlei Texte verlangen den LeserInnen einiges ab. Unsere Erfahrung ist aber, dass ArbeiterInnen sehr wohl in der Lage sind, anhand anspruchsvoller Theorien zu diskutieren, sofern die Theorie ihren Ausgangspunkt in ihre erfahrbare Lebenswelt nimmt, sie also als Subjekte ernst nimmt. Daher konnten wir in der Diskussion das, was Demirović auf der gesellschaftspolitischen Ebene beschreibt, mit Blick auf unsere nähere Umgebung überprüfen. Wir haben Demirovićs Text gewissermaßen als eine Art „soziologische Brille“ verwendet, mit deren Hilfe wir unseren Blick auf eigen Wirklichkeiten der gegenwärtigen Krise scharf stellen können. "Das Konzept des Infrastrukturkommunismus erinnert stark an eines unserer Ziele, die wir in unser Satzung festgehalten haben." Fabian: In der Diskussion hat sich auch herausgestellt, dass uns einige Denkansätze von Demirovićs bekannt vorkommen. Dort heißt es nämlich, dass zu den Aufgaben und Zielen der IG Metall insbesondere die Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum gehört. Da wurde in unserer Diskussion deutlich, dass wir als Gewerkschaften dieses Ziel wieder mehr forcieren müssen, um einen Beitrag zu den notwendigen gesellschaftlichen Umbrüchen zu leisten. Maximilian: Demirović winkt ja nicht mit der fertigen Blaupause einer bereits ausgemalten Utopie, sondern macht bewusst, dass die Gegenwart mit allen erdenklichen und noch-nicht vorstellbaren Entwicklungsmöglichkeiten aufwartet. Die autoritäre Formierung von Gesellschaft oder die Neuentdeckung der Solidarität sowie die volle Entfaltung jener Potentiale, die dem Menschen als vernunftbegabtes Wesen innewohnen – beides ist möglich. Weder der Verlauf der Geschichte noch die Zukunft ist Naturgesetzen unterworfen, sondern abhängig vom Denken, Begreifen und Verhalten des Menschen. Maximilian Fichtner und Fabian Menner sind Bildungsreferenten am Bildungszentrum Schliersee. Wir danken sehr für das interessante Gespräch. Wenn dich Demirovićs Original-Text interessiert: Den findest du hier.

  • Diskussionen zum Schwerpunkt Solidarität - in der neuen INSIDE!

    Die aktuelle Krise beweist, dass wir zu solidarischem Handeln fähig sind! Diese Beobachtung haben wir zum Anlass genommen, uns mit dem Thema Solidarität ausführlicher auseinanderzusetzen. Schließlich handelt es sich um einen gewerkschaftlichen Grundwert. Wir haben Streikende und Biologen um ihre Meinung gebeten, unseren Vorstand und unseren Funktionsbereich befragt, die Geschichte der Arbeiterbewegung aufgerollt und eigene Recherchen unternommen. Unser Ziel war es, neue Perspektiven auf eine Kernkompetenz der IG Metall zu gewinnen. Viel Spass beim Lesen! Die fünfte INSIDE im Überblick: JETZT ERST RECHT! Im Intro berichtet Jonas Berhe über gelebte gewerkschaftliche Solidarität. Er stellt fest: „Wir waren immer am stärksten, wenn die Herausforderungen am größten waren.“ IN ZEITEN WIE DIESEN In ihrem Leitartikel behandelt Irene Schulz die sozialen Auswirkungen der Corona-Krise. Und sie leitet hieraus ihre Forderungen für die Zukunft ab – für Arbeit, Bildung, Gesundheit und Klima. Neugierig? WHATS UP? Im Chat beleuchtet die INSIDE Redaktion Szenen einer Ehe: Die Solidarität bändigt den egoismus-fördernden Kapitalismus. Was sind das nur für Zankhähne, die beiden? Im positiven, wie im negativen Sinne. SOLIDARITÄT MIT WEM ODER WAS? Im Interview weist Dr. Daniel Christian Wahl nachdrücklich darauf hin, dass wir mit der Gemeinde des Lebens als Ganzes solidarisch sein müssen. Die COVID-19-Pandemie offenbart nicht nur viel Not und Leid, sondern fördert die Wahrnehmung und die Erkenntnis. UND PLÖTZLICH GEHÖRT ES ZU UNSEREM LEBEN Diese Ausgabe der Inside erscheint mitten in der Corona Krise. Krisen bringen neue Begriffe hervor – und „alte“ wieder auf die Agenda: Das Vokabular der Krise. DIE ARBEITER-BEWEGUNG IM RÜCKSPIEGEL DER GESCHICHTE Die Gewerkschaften nehmen ihren Ausgang in sozialer Ungerechtigkeit und industrieller Ausbeutung – den Ur-Erfahrungen für die Arbeiterklasse im 19. Jahrhundert. In einem Zeitstrahl hat euch die Bildungsreferentin Chaja Boebel die Erfolge der Arbeiterbewegung und des gewerkschaftlichen Arbeitskampfes zusammengestellt. GANZ NORMALE LEUTE, DIE SICH AUCH UM SOZIALE DINGE KÜMMERN In welchen Gesten ist Solidarität erkennbar und in welchen Konzepten findet sie auf regionaler Ebene einen Ausdruck? Unser Kollege Michael Jänecke hat die KollegInnen eines nichtbetrieblichen Wohnprojekts in Emden gefragt – (s)ein Bericht. STRIKE! DER FALL SONTHOFEN Der Streik bei Voith turbo in Sonthofen ist zuende. Streikleiter Carlos Gil berichtet aus der Retrospektive über die Gründe für die starke Solidarität und bekräftigt die Bedeutung von Gemeinschaft, Identität und Tradition. EIN UNSOLIDARISCHES ANGEBOT? Stephan Parkan erklärt das „Ultimatum-Spiel“. Das etwas bedrohlich klingende Spiel ist eine praktische Anwendung der Spieltheorie und thematisiert Solidarität und Gerechtigkeit. SOZIALES WIE SEIFE VERKAUFEN Das seit 60 Jahren maßgebliche Konzept und unser Prinzip in der Kommunikation und im Handeln ist Social Campaigning. Aber wie können wir als Gewerkschaft unser Social Campaigning verbessern? Ein Aufruf zum Neu-Aufbruch. Wirklich SOLIDARISCHES HANDELN beginnt bei der WAHRNEHMUNG Marion King, die Gründerin von Les Enfants Terribles, über die Bedeutung von Achtsamkeit im Umgang mit unseren Mitmenschen. PODCAST: AM VORABEND DES 1. MAI Am Vortag dieses besonderen Tages haben Irene Schulz und Jonas Berhe ihre Gedanken in einem ersten gemeinsamen Podcast geteilt. Sie dachten vor dem Hintergrund von Solidarität und Bildung nach über den Zustand unseres Sozialstaats und den Sozialstaat der Zukunft. SEMINARTIPP: DEMOKRATIE UND FASCHISMUS Eine Weiterbildung zur Bedeutung von Solidarität – für ehrenamtliche ReferentInnen. Zur neuen Inside gelangt ihr auch hier >>

  • Was passiert mit meinem Urlaub während der Pandemie?

    – Kolumne von Angela Kolovos – Sommerzeit ist Urlaubszeit. Allerdings kommt es bei Urlaubsabsprachen zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern oft zu Missverständnissen und Konflikten. Und die Rechtslage ist unter den Vorzeichen von COVID-19 sicherlich nicht einfacher geworden. Gottseidank kann der Betriebsrat in vielerlei Hinsicht eingreifen und mitbestimmen. Unsere Rechtsexpertin Angela klärt uns auf. COVID-19 ist kein Urlaubshindernis Normalerweise haben Arbeitnehmer*innen Anspruch auf gesetzlichen Urlaub von vier Wochen im Kalenderjahr plus zusätzlichen tariflichen Urlaub für Gewerkschaftsmitglieder und eventuell noch darüber hinausgehenden Urlaub aus dem Arbeitsvertrag. Der Urlaub ist von den Arbeitnehmer*innen zu beantragen und durch die Arbeitgeber*innen in der Regel wie beantragt zu gewähren. Wurde der Urlaub beantragt und durch den/die Arbeitgeber*in bestätigt, dann kann die Lage nicht einseitig geändert werden. Bei diesen Regeln bleibt es auch unter COVID-19. Wann verfällt nichtwahrgenommener Urlaub? Ein Sonderproblem stellt die Übertragung von Urlaub ins nächste Kalenderjahr dar – sie soll eine Ausnahme sein und ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, denn der Urlaub dient der Erholung im jeweiligen Kalenderjahr. Nach der aktuellen Rechtsprechung verfällt alter Urlaub jedoch nur, wenn ein*e Arbeitgeber*in die Arbeitnehmer*innen auf den Resturlaub hingewiesen hat, Gelegenheit zum Urlaub im dazugehörigen Kalenderjahr gab und der Urlaub trotzdem nicht genommen wurde. Auch das ändert sich nicht durch die Pandemie. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats Für den Betriebsrat ist es wichtig zu wissen, dass allgemeine Urlaubsgrundsätze der zwingenden Mitbestimmung unterliegen. Zu dem Thema solltet Ihr eine Betriebsvereinbarung haben! Probleme einzelner Kollegen*innen mit der Lage des Urlaubs unterliegen ebenfalls der zwingenden Mitbestimmung. Der Betriebsrat kann daher bei diesen Themen bis vor die Einigungsstelle gehen. Die Mitbestimmung gilt in der aktuellen Situation unverändert. Häufige Fragen in Zeiten von Corona Der Betriebsrat wird trotz der bei Urlaub gleichbleibenden Rechtslage vermehrt mit den folgenden Fragen konfrontiert: Kann bereits zugesagter Urlaub arbeitgeberseitig abgesagt werden und kann ein*e Arbeitgeberin einseitig noch nicht verplanten Urlaub festlegen? Nein, beides ist nicht zulässig und kann nur mit Einverständnis der Arbeitnehmer*in erfolgen. Bei Streit hierzu könnte der Betriebsrat das jeweilige Thema bis vor die Einigungsstelle bringen. Können Arbeitnehmer*innen ihren Urlaub ändern? Nein, das kann wiederum nur im Einvernehmen mit der Arbeitgeberseite passieren. Würde eine Arbeitnehmer*in eigenmächtig Urlaub antreten, könnte dies sogar als Kündigungsgrund dienen! Sollten Arbeitnehmer*innen trotz Reisewarnung eine Urlaubsreise antreten? Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist dazu Folgendes zu sagen: Soweit die Arbeit nicht wie vorgesehen angetreten werden kann (z. B. wegen geschlossener Grenzen, eingestellter Flüge oder Zugverbindungen), könnte ein*e Arbeitgeberin hieraus Konsequenzen ziehen durch z. B. Einstellung der Bezahlung für den Zeitraum, Abmahnung oder gar Kündigung. Selbst wenn die Reisewarnung aufgehoben wäre und eine Reise dazu führen sollte, das die Betroffenen ihre Arbeit nicht rechtzeitig wieder antreten können, kann arbeitgeberseitig die Lohnzahlung eingestellt werden. Zwar gibt es eine gesetzliche Regelung, die besagt, dass Arbeitgeber*innen bei vorübergehender Verhinderung die Vergütung weiterzuzahlen haben. Diese Regelung kann jedoch aus verschiedenen Gründen ausgeschlossen sein. Hierzu bedarf es individueller Beratung. Zusammenfassend besteht daher ein erhöhtes Risiko bei der Frage, ob Arbeitgeber*innen zur Zahlung der Vergütung verpflichtet wären. Auslandsreisen sollten deshalb derzeit wohlüberlegt sein. Fazit Achtet also einerseits weiterhin darauf, dass die im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen zum Urlaub eingehalten werden – Abweichungen hiervon sind ausschließlich mit Eurer Zustimmung zulässig – und beachtet andererseits ebenfalls, dass Einzelne ihren Urlaub wie zugesagt erhalten. Informiert am besten proaktiv auch Eure Belegschaft über diese Rechtslage und die unveränderten Urlaubsansprüche der Kolleginnen und Kollegen.

  • Treiber einer sich schnell ändernden Arbeitswelt und die künftige Rolle der Gewerkschaften

    Mit Maschinen konkurrieren? Uns ständig mit ihnen messen? „Schluss damit“, fordert der Zukunftsforscher Franz Kühmayer. Stattdessen sollten wir uns auf uns selbst besinnen. In seinem Statement erklärt er einerseits die wesentlichen transformativen Faktoren, die die Entwicklung unserer Arbeit und Gesellschaft in den nächsten Jahren bestimmen werden. Andererseits formuliert er, welchen Auftrag die IG Metall in diesem Szenario hat. Ohne Umschweife: Gegenwärtig können wir beobachten, dass Arbeit und Gesellschaft unterschiedlichen Veränderungen unterworfen sind. Das hat Gründe. 1. Strukturwandel der Arbeit Arbeit ist zunehmend entgrenzt. In der Vergangenheit haben wir gesagt: „Ich fahre zur Arbeit.“ Arbeit wurde in diesem Zusammenhang nicht als Tätigkeit verstanden, sondern als ein Ort und eine Zeit. Wenn man beispielsweise in einem Büro als Sachbearbeiter*in tätig war, musste er*sie zu einer bestimmten Zeit ins Büro fahren, weil dort die Produktionsmittel versammelt waren. Dort waren die Akten, dort war das Festnetztelefon, dort war die Schreibmaschine – also alles, was man gebraucht hat, um arbeiten zu können. Im Umkehrschluss konnte man nicht mehr arbeiten, wenn man sich von diesem Ort entfernt hatte. Heute ist das bei vielen Menschen nicht mehr so: Nicht wenige tragen die digitalen Arbeitsmittel ständig in der Westentasche mit sich herum. Man kann theoretisch ständig und überall arbeiten. Das führt zu einem Strukturwandel der Arbeit. In geografischer oder globaler Hinsicht heißt das: Tätigkeiten können international verschoben werden. 2. Wertewandel der Gesellschaft In historischer Sicht verändern sich Werte ständig, weswegen der Wertewandel zunächst nichts Neues ist. Wenn wir uns die Fragen stellen: Was macht gute Arbeit aus? Wie sieht eine gelungene Karriere aus? Was muss ein guter Arbeitgeber tun? Wann ist ein Job toll? – dann bekommen wir völlig unterschiedliche Antworten, abhängig davon, ob wir ältere oder jüngere Menschen fragen. Dieser Wertewandel sorgt dafür, dass sich die Unternehmen heute völlig anderes positionieren müssen. Sie müssen am Arbeitsmarkt anders auftreten, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Im unmittelbaren Zentrum steht heute die Frage nach dem Sinn. Denn immer mehr Menschen erkennen, dass Arbeit mehr ist als Einkommen. "Etwas Sinnvolles mit dem eigenen Leben zu tun, ist die Erwartung vieler Beschäftigten. Sie verändert den Arbeitsbegriff." Es geht um die Frage nach Sinn und Wertschätzung im Leben. Denn Menschen haben tief in sich drinnen das Bedürfnis, gebraucht zu werden, etwas Sinnvolles mit dem eigenen Leben zu tun und einen Beitrag zu leisten zu etwas Größerem. Sicherlich ist das unterschiedlich stark ausgeprägt. Aber ich spreche hier trotzdem von tief menschlichen Bedürfnissen. Von Grundbedürfnissen. Seit den soziologischen Untersuchungen der 1930er Jahre (wie beispielsweise "Die Arbeitslosen von Marienthal"*) wissen wir, dass die reine ökonomische Befriedigung eben nicht ausreicht. Das heißt, wenn wir beispielsweise über das bedingungslose Grundeinkommen nachdenken, dann ist das schon die richtige Richtung. Andererseits reicht dies aber nicht aus, weil wir die Menschen auf diese Weise nur ruhig stellen, ohne ihnen einen Sinn zu geben. Die Bedeutung der Arbeit für das Leben wird hierbei nicht ausreichend berücksichtigt. 3. Technologisierung / Digitalisierung In diesem Punkt stellt sich die Frage, wozu wir Menschen in Zukunft noch gebraucht werden bzw. nützlich sind. Was unterscheidet uns von den Maschinen? Und ich habe da eigentlich eine hoffnungsvolle optimistische Perspektive, denn ich denke, dass wir durch die Digitalisierung näher zu unserer Menschlichkeit gebracht werden. Denn den Wettlauf um das, was die Maschinen können, haben wir bereits auf der Startlinie verloren. Wir können nicht in Anspruch nehmen, dass wir schneller denken, analysieren oder rechnen können. Wir können auch nicht mit Fakten oder großen Datenmengen besser umgehen als ein Computer. Das ist Unsinn. Interessanterweise tun wir uns als Menschen sehr schwer damit, mit diesem Umstand umzugehen. Wir versuchen zwar nicht schneller zu laufen als ein Auto fahren kann – da haben wir uns damit abgefunden, unterlegen zu sein – aber beim Denken haben wir immer noch Vorbehalte. Was Maschinen derzeit und auf lange Sicht nicht können werden sind zwei Sachen – und diese beiden Sachen machen uns als Menschen ganz besonders aus: Wir sind schöpferische Wesen und wir sind soziale Wesen. Wir wollen lernen, uns entwickeln, die Welt entwickeln und etwas Neues schaffen. Schöpferisch. Und wir brauchen andere Menschen für unser Lebensglück. Beides sind Dinge, die Maschinen nicht können und brauchen. Und daher werden alle Tätigkeiten und Berufe, bei denen das Schöpferische und Soziale im Mittelpunkt stehen, an Bedeutung gewinnen – auch an ökonomischer. Was folgt daraus? 1. Wenn man das konsequent weiterdenkt, muss ein realistischer Schluss lauten: Fachliche Weiterqualifikation ist dann falsch, wenn es darum geht, das Rennen gegen die Maschinen zu gewinnen! Fachliche Weiterqualifikation ist nur dann der richtige Weg, wenn dieser in einer Ausweichbewegung gewissermaßen auf ein Nebengleis führt. Es darf nicht darum zu gehen, besser zu denken als die Maschine, sondern darum, anders zu denken als diese. Und dieses „Anders“ steckt im Kern des Humanismus. 2. Wenn ich mir diese drei Entwicklungen ansehe, erkenne ich eine frohe und erlösende Botschaft. Denn sie bedeuten nichts weniger als den Ausbruch aus unserer (eventuell) selbst verschuldeten Unmündigkeit. Sie geben uns die Möglichkeit, viel freier und selbstbestimmter zu arbeiten als wir das in der Vergangenheit getan haben. Gleichzeitig gehen auch viele wichtige Dinge in unserem Leben damit verloren. Beispielsweise Orientierung, Struktur und Sicherheit. Der richtige Umgang mit diesen Verlusten ist eine wesentliche Kompetenz. Daher ist die Bereitschaft zur Veränderung und zum stetigen Weiterlernen von wesentlicher Bedeutung. 3. Es ist wichtig, dass wir in diesem Kontext nicht nur auf der Mikroebene nachdenken – also auf den einzelnen Arbeitsplatz oder das einzelne Unternehmen bezogen –, sondern dass wir uns bewusst werden, dass diese drei Entwicklungen in gesamtgesellschaftlicher und globaler Hinsicht große Veränderungen mit sich bringen werden. Dazu gehört leider auch die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Wir haben zunehmend das, was wir fragmentierte Arbeitsverhältnisse nennen – also sehr unterschiedliche Arbeitszeiten, Arbeitsorte, Qualifikationen, etc. Das alles durch eine einzige Interessenvertretung unter einen Hut zu bekommen wird zunehmend schwieriger. Wir brauchen einen zivilgesellschaftlichen Schulterschluss, um die Gesellschaft weiterzuentwickeln und um die gute Arbeit weiterzuentwickeln. Dabei müssen (und sollten) wir nicht alle gleicher Meinungen in partnerschaftlich geführten Diskussionen zu den großen Fragen der Zeit: Wie sollen Arbeit und Gesellschaft künftig aussehen? Wie bringen wir die widerstreitenden Interessen aus Umwelt und Wirtschaft zusammen? Der Schlüssel dazu ist, mehr mit- und weniger übereinander sprechen. Wir müssen Sorge tragen, dass wir ein gemeinsames Vokabular haben, wenn wir über die Zukunft sprechen. Fazit: Die Rolle von Interessensvertretern bzw. Gewerkschaften Welchen Aufgaben ich für Interessensvertretungen wie die IG Metall sehe? Erstens geht es darum, Benachteiligte zu schützen und unterstützen. Zweitens müssen die Gewerkschaften kritische und negative Entwicklungen erkennen und thematisieren. Denn wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Drittens müssen sie konstruktive Lösungen für die Zukunft entwickeln. Sie haben also in der Summe eine: Schutzfunktion, eine Warnruffunktion und sind Innovationstreiber. Das sind für mich die drei wesentlichen Zukunftsaufträge für die IG Metall. –– Franz Kühmayer forscht am Zukunftsinstitut und ist u.a. Experte für das Thema „Zukunft der Arbeit“. Er hat Konzernvergangenheit und war lange als Manager in der IT-Branche tätig, bevor er seinen ureigenen Interessen folgte und in die Wissenschaft und Unternehmensberatung wechselte. Antworten zu finden auf die Frage, wie sinnvolle Reaktionen auf technologische und soziale Entwicklungen der Gegenwart aussehen können, versteht er als seinen persönlichen Beitrag zur Schaffung einer besseren Welt.

  • New Work #2: Die Neue Arbeit aus Gewerkschaftssicht

    Wir nutzen bereits den 1. Mai, um uns Gedanken zur Zukunft der Arbeit zu machen. In diesem ersten Teil betrachteten wir das Konzept der New Work von Frithjof Bergmann. Für den zweiten Teil baten wir Dr. Jürgen Klippert die Ideen Bergmanns aus der gewerkschaftlichen Perspektive zu bewerten. Jürgen ist Politischer Sekretär im Ressort Zukunft der Arbeit in der IG Metall-Vorstandsverwaltung. New Work und private Regierungen – Mit Macht zur Selbstbestimmung Im Unternehmen der Zukunft verbinden sich das Streben nach Profit mit Sinnerfüllung und technologischer Wandel mit Menschlichkeit. So oder ähnlich liest man es auf vielen Websites, die das Konzept propagieren. „New Work“ ist die Vision von der Selbstverwirklichung des Menschen in der Arbeit. Für den Begründer des Konzepts, den austro-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann, war das Ziel, ein Gegenmodell zum Kapitalismus zu entwickeln. Daher begründete er seit den 1980er Jahren eine Bewegung der Neuen Arbeit. Zentrale Werte des Konzepts New Work sind Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. New Work soll neue Wege von Freiräumen für Kreativität und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit bieten und echte Handlungsfreiheit ermöglichen. Das selbstbestimmte Handeln steht im Vordergrund. Die alten starren Arbeitsmethoden aus der Frühzeit der industriellen Revolution sollen der Vergangenheit angehören. Strikte Arbeitsteilung, klare Hierarchien sowie festen Kommando- und Zeitstrukturen, die das klassische Bild von Arbeit geprägt haben, sollen überwunden werden. Der Wandel zu New Work geht mit der digitalen Vernetzung einher und löst die alte Arbeitsweise immer mehr ab. Selbstbestimmt arbeiten, über das wann und wie und die Inhalte der Arbeit selbst entscheiden. Es klingt so, als sei es ein Konzept der Gewerkschaften. Gute Arbeit, abgesichert und selbstbestimmt, war schließlich schon immer gewerkschaftliches Ziel. Aber ist das gemeint, was wir als Gewerkschafter*innen darunter verstehen? Es gibt Leute, die sagen, es liege an der Unschärfe ihrer Konturen, warum Frithjof Bergmanns Neue Arbeit so zeitlos aktuell ist. Wie können die Umrisse von New Work geschärft werden? Es ist doch klar: Die neue Arbeit muss fassbar werden, um sie Wirklichkeit werden zu lassen. Wir sollten für Schärfe der Konturen sorgen. Wenden wir den Blick auf die Realität der Arbeitswelt. Die US-amerikanische Philosophin Elizabeth Anderson bezeichnet in ihrer aktuellen Studie das Arbeitsverhältnis als „private Regierung“. Der Arbeitgeber ist der Herrscher, der seinen Angestellten Anweisungen erteilen kann, die bei Missachtung mit Sanktionen bestraft werden. Das arbeitende Subjekt hat keine Mitsprache dabei, wie die Regierung vorgeht, und es kann nicht fordern, dass bei diesen Entscheidungen der Regierung auch seine Interessen berücksichtigt werden. Die private Regierung ist weder demokratisch legitimiert noch kann sie demokratisch kontrolliert werden. Nach dieser aktuellen Zeitdiagnose klingt „New Work“ wie ein frommer Wunsch. Selbstbestimmung und Freiheit im Angestelltenverhältnis ist ein Widerspruch. Eine Arbeitswelt ohne Konflikte gibt es nicht. Gleichzeitig erleben wir: das Einbringen eigener Ideen und Wünsche sowie selbstbestimmtes Handeln wird immer häufiger von Arbeitsgebern ausdrücklich erwünscht sind. Kontrolle und starre Hierarchien sind hinderlich, wenn es um schnelle Entscheidungen, Kreativität und flexibles Handeln geht. Die Arbeitswelt steht angesichts dieser Anforderungen vor neuen Herausforderungen und Veränderungen. Doch es ist nicht damit getan, einfach eine neue Arbeitswelt oder „New Work“ auszurufen. Diese neue Arbeitswelt muss erkämpft und gestaltet werden. Konflikte sind dabei unvermeidlich und „New Work“ kann diese Konflikte nicht einfach auflösen. Am Ende wird die private Regierung ihre wirtschaftlichen Interessen durchdrücken. Die Selbstbestimmung der „New Work“ verkommt dann zur instrumentellen Beteiligung der Arbeitenden. Solange es der „privaten Regierung“ gefällt, dürfen die Beschäftigten im gesetzten Rahmen selbstbestimmt agieren, solange die vom Herrscher vorgegebenen Ziele erreicht werden. Beteiligung ist entscheidend, um eine neue Arbeitswelt zu verwirklichen, in der Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an Entscheidungen zu verwirklichen. Damit ist demokratische Beteiligung gemeint, bei der Beschäftigte ernsthaft über das was, wann und wie der Arbeit mitentscheiden. Instrumentelle Beteiligung, bei der Beschäftigte fremdbestimmte Ziele mit begrenzten Ressourcen umsetzten (müssen), sind nicht geeignet, um das geforderte Einbringen eigener Ideen und Wünsche sowie selbstbestimmtes Handeln langfristig zu sichern. Demokratische Beteiligung benötigt Ressourcen, über die Arbeitende selbst verfügen können: Zeit, Zugriff auf Informationen, Qualifizierung. Das wird sich nicht automatisch realisieren. Eine Arbeitswelt ohne Konflikte gibt es nicht. Manchmal braucht es Macht, um eine neue Arbeitswelt zu realisieren. Macht, wie sie das Betriebsverfassungsgesetz den Betriebsräten verleiht. Oder wie sie von Gewerkschaften repräsentiert wird. Dies gilt auch für die heutigen Service-, Informations- und Kreativarbeiter, die mit „New Work“ in erster Linie angesprochen werden. Jürgen Klippert, Dr. habil., ist Politischer Sekretär im Ressort Zukunft der Arbeit in der IG Metall-Vorstandsverwaltung, Frankfurt a. M.; mit dem Schwerpunkt auf die Entwicklung der Arbeitsqualität im Rahmen der digitalen Transformation. Arbeitsschwerpunkte sind dabei die humanzentrierte und partizipative Gestaltung von sozio-technischen Systemen. Dr. Klippert ist zudem Lehrbeauftragter für Arbeitssystemgestaltung an der Universität Kassel. Nach der Berufsausbildung und mehrjähriger Berufstätigkeit im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik studierte Jürgen Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Arbeit und Technik an der Universität Kassel. Anschließend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitswissenschaft der Universität Kassel, um 2006 zu promovieren mit seiner Arbeit zum Thema psychische Belastung und Beanspruchung bei der Kooperation in digital vernetzten Arbeitssystemen. Im Jahre 2018 folgte die Habilitation im Fach Arbeitswissenschaft an der Universität Kassel mit seiner Arbeit zur Synthese sozial- und ingenieurwissenschaftlicher Ansätze der Arbeitswissenschaft unter dem Titel „Augmented Ergonomics“

  • Digitale Arbeitsorganisation 4 \ Teamführung vom Homeoffice aus

    Führen ist seit jeher heikel. In den letzten zwei Monaten ist es allerdings noch komplizierter geworden. Dank Corona muss das Zuhören, Verteilen, Einsammeln, Beraten, Abstimmen und Motivieren komplett ohne persönlichen Kontakt auskommen. Lest hier, wie und mit welchen Apps ihr gestärkt aus dieser Phase hervorgehen könnt. Denn viele der Online-Tools bringen gegenüber klassischen Methoden Vorteile mit sich, die dir nutzen, wenn wir uns alle wieder sehen! Seid euch der neuen Anforderungen an Team-LeiterInnen bewusst Zum Anforderungsprofil von Teamleiterinnen gehören seit jeher überdurchschnittliche soziale, kommunikative und organisatorische Fähigkeiten. Um erfolgreiche Teamarbeit und ausgeprägtes Team-Denken zu fördern, sollten Führungskräfte die Mitglieder des Teams richtig einschätzen können, gutes Informationsverhalten an den Tag legen und Projektabläufe sinnvoll strukturieren können. Auch in Zeiten von Home Office sind diese Kompetenzen von entscheidender Bedeutung. Aber: Zum neuen Tätigkeitsfeld der Teamleitung gehört jetzt auch die intensive Auseinandersetzung mit Online-Tools. Denn Videokonferenzen, zentrale Datenspeicher und virtuelle Whiteboards installieren und konfigurieren sich nicht von alleine, sondern sind von Projekt zu Projekt sinnvoll auszuwählen und anzupassen. Achtet daher bitte… auf einen passenden Media-Mix. auf eine vorbildliche Nutzung der betreffenden Anwendungen. auf die Aneignung notwendiger technischer Fähigkeiten. Und keine Bange: Ihr müsst nicht gleich zu Computer-Nerds werden, um eure Projekte erfolgreich managen zu können. Nutzt Gruppen-Chat-Tools für mehr Transparenz und Übersicht Teamarbeit produziert multilaterale Kommunikation – und lebt vom engen und häufigen Austausch der Teammitglieder. Hierbei sollte niemand bei wichtigen Gesprächen übergangen werden oder außen vor bleiben. Andererseits sind Informationen nicht für alle MitarbeiterInnen gleich wichtig. Transparente und zugleich übersichtliche und gut rekonstruierbare Kommunikation lässt sich durch Gruppen-Chat-Tools wie Slack, Yammer oder Jive hervorragend organisieren. Sie erlauben… die Einrichtung beliebig vieler Channels, die wie Chaträume funktionieren. die sinnvolle Definition von Teil- oder Untergruppen, geordnet nach Themen, Aufgaben oder Verantwortlichkeiten. das unkomplizierte Teilen wesentlichen Ergebnisse oder Inhalte mit dem gesamten Team. die ausführliche Dokumentation und Auffindbarkeit des Kommunikationsprozesses. die Verknüpfung mit Projekt-Management-Tools und zentralen Datenablagen. Letztlich ermöglichen sie es also alles an einem Ort zu haben und damit wesentlich zu entschlacken – weswegen eure Notebooks, Tablets und Smartphones dankbar aufatmen werden. Ermöglicht bessere Zusammenarbeit durch geteilte Dokumente und Aufgaben Es gibt viele Online-Tools, welche die gemeinsame Arbeit an Dokumenten oder Aufgaben unglaublich erleichtern. Wenn ihr beispielsweise Daten auf einen zentralen Datenspeicher wie Google Drive hochladet und für die verantwortlichen KollegInnen freigebt, steht einer gemeinsamen Bearbeitung nichts mehr im Weg. Die Vorteile virtueller Zusammenarbeit sind zusammengefasst… gesteigerte Produktivität durch simultanes Arbeiten an gemeinsamen Dokumenten. einheitlicher Wissensstand durch geteilte und kommentierbare Informationen. ortsunabhängige und zeitlich flexible Zusammenarbeit. Es ist immer wieder spannend, den Cursor des Sparring Partners über den Bildschirm wandern zu sehen. Macht neue spannende Erfahrungen in der Interaktion und Kooperation! Stay creative!! Startet Videokonferenzen im Interesse von Feedback und Teambuilding Schaut ihr euch die Marktdaten an, werdet ihr bemerken: Anbieter von Videokonferenz-Anwendungen wie Zoom, Vitero oder Mikogo sind die großen Gewinner der derzeitigen Krise. Es dürfte klar sein, woran das liegt: Sie haben herkömmliche Treffen im physikalischen Raum mittlerweile zu fast 100 Prozent ersetzt. Aber auch für die Zeit nach der Covid 19-Pandemie sollte man sich als Teamleiterin Folgendes bewusst machen: Sie gewährleisten… hohe Flexibilität durch die örtliche Ungebundenheit der Beteiligten. extreme Kosteneinsparungen durch den Ausfall von Reisewegen und Unterbringung. penible Dokumentation durch die Aufzeichnung von Diskussionen. überprüfbare Abstimmungen und Meinungserhebungen. und Break out-Möglichkeiten für separate Sitzungen. Nicht zuletzt erlauben sie körpergebundene Kommunikation fast wie im richtigen Leben! Manche Abteilungen führen daher mittlerweile wöchentliche virtuelle Kaffeekränzchen durch. Allerdings: Bei virtuellen Konferenzen ist immer ein gewisses Maß an Planung und effektiver Durchführung seitens der Teamleitung gefordert. Das technische Know-how ist hierbei entscheidend! Behaltet die Kontrolle durch Automatisierung Manchmal werden Projekte sehr komplex – zu komplex, um als Teamleiterin alle Teilprozesse im Auge behalten zu können. Auch in diesem Punkt bieten digitale Projektmanagement-Tools wie Trello oder Meistertask klare Vorteile. Sie definieren… Regeln für die Bearbeitung von Aufgaben. verbindliche Bearbeitungsfristen. ..die Verteilung von Aufgaben. feste Arbeitsschritte. die Zugänglichkeit und Sichtbarkeit von Dokumenten. Auf diese Weise könnt ihr als Team-LeiterInnen immer sicher sein, dass jeder die richtigen Schritte befolgt und die Prozesse wie vorgesehen ablaufen. Vieles, was sonst händisch erledigt werden muss, lässt sich hier automatisieren. Die Kommunikationsmittel und die Organisationstools haben sie entscheidend verändert. Wir wir sehen, sind sie unter bestimmten Voraussetzungen für die Team-Arbeit sehr nützlich. Welche Erfahrungen habt ihr als TeamleiterInnen in den letzten Monaten gemacht? Habt ihr nützliche Tipps für eure KollegInnen? Dann teilt sie uns bitte mit! Wir aktualisieren diesen Beitrag gern.

  • New Work #1: New Work und der 1. Mai

    Dieser 1. Mai ist anders. In Deutschland sind 10 Mio. Menschen in Kurzarbeit. Uns steht die größte Wirtschaftskrise der Republik ins Haus. Und wir sind als Betriebsräte online beschlussfähig. Willkommen in einer Zukunft, die sehr plötzlich zur Gegenwart wurde. Lasst uns an diesem ersten kundgebungslosen 1. Mai in der Geschichte der Bundesrepublik über Arbeit nachdenken, die wir wirklich wollen und wie wir sie nachhaltig gestalten. Kurzum: Über New Work? Ich war noch niemals in New Work Wer sich mit der Zukunft der Arbeit auseinandersetzt, stolpert früher oder später über die New Work-Bewegung. Unter diesem Schlagwort ist zu lesen, wie der technologische und soziale Wandel die Arbeit verändert. Allerdings versteht jeder unter New Work etwas anderes. Zwischen Home Office, flachen Hierarchien, Teilzeit, familienfreundlicher Arbeit, Purpose, Agilität, Open Space und sozialer Revolution ist alles drin. Woher kommt der Begriff und was meint er tatsächlich? Ursprung und Bedeutung des Begriffs Wenn wir als Gewerkschaft von „guter Arbeit“ sprechen, dann haben wir zumeist die Arbeitsbedingungen im Blick. Wir beziehen unsere betriebliche Mitbestimmung auf ein gerechtes Entgelt für unsere Lohnarbeit, den Arbeits- und Gesundheitsschutz, soziale Sicherheit und Teilhabe. Erst zweitrangig geht es uns darum, dass wir unsere Fähigkeiten bestmöglich einbringen und ausbauen. Historisch ist diese Auffassung auf die widerstreitenden Interessen im Betrieb zurückzuführen: Die Gewerkschaften hatten die Aufgabe, die Arbeitnehmer bei bestehendem Machtgefälle vor der Profitmaximierung der Arbeitgeber zu schützen. Der Begriff „New Work“ geht wesentlich weiter. Das Prinzip wurde in den 1970er Jahren von Frithjof Bergmann formuliert. Der austro-amerikanische Philosoph, Menschenfreund und Visionär stellt in seiner Sozialutopie die Selbstverwirklichung des Menschen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Bergmann geht es bei der Formulierung seines gesellschaftlichen Gegenentwurfs unter anderem darum, dass jeder Mensch eine Arbeit finden können sollte, die mit seinen eigenen Wünschen, Hoffnungen, Träumen und Begabungen übereinstimmt. Eine sinnvolle Arbeit ermöglicht die Potenzialentfaltung eines jeden einzelnen von uns. Sie soll im Dienst des Menschen stehen, nicht umgekehrt. Voraussetzung dafür ist eine völlig andere Arbeitskultur. Das ist wesentlich weitreichender, als die zur gleichen Zeit vorherrschende Arbeitskultur, die in dem ebenfalls in den 1970er Jahren formulierten Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck kommt: Die Unternehmensmitbestimmung habe die Aufgabe, “die mit der Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen verbundene Fremdbestimmung durch die institutionelle Beteiligung an den unternehmerischen Entscheidungen zu mildern und die ökonomische Legitimation der Unternehmensleitung durch eine soziale zu ergänzen.“ Die Renaissance des Begriffs unter den Vorzeichen der Transformation Die Umbrüche, die wir derzeit erleben, werden durch digitale Technologien wie Robotic, Vernetzung oder Blockchain bestimmt. Warum bringt das New Work heute wieder auf den Tisch? Die beiden wichtigsten Anknüpfungspunkt an Bergmanns New Work sind zum einen, dass das Individuum im Wirtschaftskreislauf eine größere Rolle spielen muss. Unternehmen haben erkannt, dass glückliche Arbeitnehmer, die sich mit ihrem Job identifizieren können, effizient, zuverlässig und selbstverantwortlich arbeiten. Der Wettbewerb um gutes Personal und schnell anpassungsfähige Organisationen führt zu veränderten Unternehmenskulturen und Führungsstilen. Zum anderen der Umstand, dass New Work davon ausgeht, dass der Gebrauch einer "Flut von überraschend innovativen Technologien sich positiv auf die Arbeit auswirken wird." Von der örtlich ungebundenen Steuerung technischer Anlagen per Remote-Control über die agile Organisation von Arbeit in zeitlich, räumlich und kulturell unabhängigen Teams bis zur Übernahme von unliebsamen Arbeiten durch Maschinen können neue Technologien sowohl Mechatronikern als auch Vorstandsvorsitzenden einen Zuwachs an Freiheit und Selbstverwirklichung bringen. Wie sieht sie also aus, die neue Arbeit? Die Geschwindigkeiten, mit der transformative Neuerungen in den Betrieben heutzutage aufschlagen, ist allerdings enorm. Überrollen uns die “überraschend innovativen Technologien” und ermöglichen, statt selbstverantwortlich genau das zu arbeiten, was wir wirklich, wirklich wollen, ein neues von Bergmann verurteiltes Level von Automatisierung? Eines an dessen Ende wir uns selbst wegrationalisieren? Neben vielen positiven Entwicklungen sind bereits heute auch negative Auswirkungen zu beobachten: Remote Arbeit führt zu ständiger Erreichbarkeit. Assistenzsysteme erleichtern zwar die Arbeit, bilden aber mächtige Kontrollinstrumente, die unsere Performance jederzeit auswerten. Und Betriebsratsgremien, die klassisch in Ausschuss-Strukturen arbeiten, sind oft nicht mehr in der Lage, auf die Vielfalt und Geschwindigkeit der Herausforderungen und Themen angemessen zu reagieren. Wir sind deshalb als Interessenvertreter nicht nur aufgefordert, gute Vorschläge im kleinen einzubringen, sondern müssen um unserer selbst willen prüfen, wie wir künftig die Arbeit im großen und ganzen definieren wollen. Dazu sollten wir nicht aus großartigen Konzepten wie der New Work wenige interessante Aspekte aus dem Zusammenhang reißen und darauf das künftige Arbeitsverständnis von Millionen von Arbeitnehmern gründen. Wir müssen weiter sorgfältig an unserem nachhaltigen Leitbild von Arbeit feilen. Vielleicht ja an diesem kundgebungslosen 1. Mai. Jan Vollmer, freier Autor u. a. für die Zeit, die Welt und das Handelsblatt, fasst das so zusammen „Vielleicht liegt ja gerade in der Unschärfe ihrer Konturen das, was Frithjof Bergmanns Neue Arbeit so zeitlos macht. Sie lässt sich immer wieder neu mit dem füllen, was wir selbst als unabdingbar für eine gute Arbeitskultur erachten – mit dem also, was wir wirklich, wirklich wollen. Einen Propheten aber, der uns den Weg hin zur Erlösung weist, suchen wir in Bergmann vergebens. Die digitale Transformation der Arbeitswelt müssen wir schon selbst hinkriegen.“ Bild Frithjof Bergmann Richard Hebstreit-Flickr: IMG_5059 Prof. Frithjof Bergmann

  • Änderung BetrVG §129: Betriebsratssitzungen per Videokonferenz

    In dieser herausfordernden Zeit sind Betriebsräte durch die vielen Themen, die durch COVID-19 im Betrieb aufkommen, besonders gefordert. Gleichzeitig ist die Betriebsratsarbeit selbst den coronabedingten Einschränkungen unterworfen. Da stellt sich die Frage, ob Beschlüsse immer der Anwesenheit bedürfen oder in Videokonferenzen wirksam gefasst werden können? Eine Antwortsuche mit Angela Kolovos. §129 BetrVG bzw. Beschlüsse zur Video-Betriebsratssitzung Bisher war für Betriebsratssitzungen die körperliche Anwesenheit der Betriebsräte*innen vor Ort zwingend und Beschlüsse per Fernkommunikation nicht wirksam. Anlässlich von COVID-19 wurde nun am 23.04.2020 das Betriebsverfassungsgesetz geändert. Auf Grundlage des neuen § 129 BetrVG können Betriebsratssitzungen und Beschlüsse per Video- und sogar Telefonkonferenz erfolgen.Der neue Paragraf gilt nur bis Ende des Jahres. Der Betriebsrat ist nicht verpflichtet, seine Sitzungen in digitaler Form abzuhalten. Die Präsenzsitzung bleibt die Regel und die digitale Sitzung die coronabedingte Ausnahme. Die Mitglieder können die zwei Formen auch verbinden, sodass nur ein Teil per Video- und/oder Telefonkonferenz zu einer Sitzung zugeschaltet wird. Ob eine körperliche Sitzung vor Ort durch eine Videokonferenz ersetzt werden sollte, muss davon abhängen, ob eine körperliche Sitzung unter Wahrung der notwendigen Vorkehrungen zur Eindämmung der Pandemie möglich ist. Das wird von der Größe des Gremiums, der Größe und Lüftungsmöglichkeiten des Sitzungsraums und den Anreisemöglichkeiten der Mitglieder abhängen. Videokonferenzen sollten Telefonkonferenzen – soweit möglich – vorgezogen werden. Die Entscheidung liegt beim Vorsitzenden, der für die Vorbereitung der Sitzung verantwortlich ist. Statt eine Anwesenheitsliste zu unterschreiben, bestätigen die Teilnehmer durch eine Nachricht an den Vorsitzenden, die gespeichert wird (z. B. sms, E-Mail oder eine Nachricht über einen Messengerdienst), ihre Teilnahme. Bleibt noch die Nichtöffentlichkeit Digitale Sitzungen sind grundsätzlich nicht zulässig und sollten dies außerhalb von Corona auch bleiben. Hintergrund hierfür ist, dass Betriebsratssitzungen nicht öffentlich sind und die Wahrung der Nichtöffentlichkeit in einem geschlossenen Raum besser gewährleistet werden kann als im digitalen Raum. Deshalb müssen sich die Teilnehmer*innen in Betriebsratssitzungen per Video- oder Telefonkonferenz alleine in geschlossenen Räumen aufhalten. Die Aufzeichnung der Sitzung ist verboten und strafbar. Vorsitzende sollten als Gastgeber*innen durch Voreinstellung die Aufnahmefunktion des verwendeten Programms deaktivieren und die Kollegen*innen auf die Erfordernisse der Nichtöffentlichkeit und die Strafbarkeit der Aufnahme hinweisen. Und was nun? Bevorzugt nach Möglichkeit analoge Sitzungen unter Einhaltung von Ansteckungsvorkehrungen. Wenn Ihr Euch doch für eine digitale Sitzung entscheiden müsst, dann achtet auf den Ausschluss der Öffentlichkeit!

  • Die Arbeitsorganisation der eigenen vier Wände

    - von Rudolf Reitter - Morgens im Schlafanzug an den Schreibtisch, zwischendurch Waschen, das Mittagessen wird am heimischen Herd gebrutzelt. Arbeiten im Home Office hat auch seine Vorteile. Hinsichtlich Arbeitsorganisation, Arbeitsdisziplin und Life-Work-Balance wirft es jedoch Fragen auf. Wir haben unseren Kollegen Rudolf, selbst langjähriger Home Office-Haudegen gefragt, wie er mit den Herausforderungen des Home Office umgeht. Lest wie er seinen Tag gestaltet ohne durchzudrehen. Uns haben seine Tipps jedenfalls geholfen. Struktur und Konsequenz bei der Arbeitsorganisation „Ich arbeite daheim und wohne im Büro“ – so die Worte einer befreundeten Betriebsratsvorsitzenden. Und das bringt es auf den Punkt. Die Trennung zwischen Beruf und anderen Bereichen des Lebens ist die große Herausforderung. Und die Lösungen lauten: „Struktur“ und „Konsequenz“. Denn: Klingt „Konsequenz“ nicht schöner als „Disziplin“? Nur: Welche Struktur passt zu mir? Eines vorweg: Es gibt keine Patentrezepte für ein erfolgreiches Arbeiten im Home Office. Wir müssen alle für uns selbst herausfinden, was am besten zu uns passt. An gewohnten Ritualen festhalten und neue Rituale integrieren Seit über 10 Jahren arbeite ich im Home Office. Nicht ausschließlich. Meine Seminare und Workshops finden in Hotels und Bildungseinrichtungen statt. Der Wechsel zwischen Home Office und Seminar ist für mich immer noch schwierig. Die Tagesabläufe sind einfach zu unterschiedlich. Dennoch gibt es viele Rituale, die ich beizubehalten versuche. So stehe ich meistens um 07:00 Uhr auf, praktiziere fast jeden Tag 20 Minuten Rückengymnastik und esse gegen 18:30 Uhr zu Abend. Seit zwei Jahren arbeitet meine Frau ebenfalls im Home Office, und wir haben neue gemeinsame Rituale entwickelt. In unserer Partnerschaft achten wir sehr stark auf unser Suchtverhalten. Alkohol gibt es nur an zwei Tagen in der Woche. Da wir jeden Tag kochen, ernähren wir uns sehr gesund. Für den Online-Aufenthalt in sozialen Medien haben wir ein Zeitlimit eingestellt, damit wir ein Gefühl dafür bekommen, wie lange wir rumdaddeln. Und wir achten sehr auf die Länge unseres Arbeitstages. Wöchentliche Planung Zweimal in der Woche gehen wir Einkaufen. Hier überlegen wir uns sehr genau, was wir wann essen möchten. Zu Mittags essen wir manchmal gemeinsam und manchmal alleine. Das hängt von unseren Terminen ab. Achtung: Das Mittagessen vorzubereiten braucht Zeit und dauert deutlich länger als der Gang in die Kantine. Abends essen wir gemeinsam und lassen den Rest auf uns zukommen. Oft fange ich schon am Abend zuvor zu überlegen an, was wir morgen alles anstellen könnten. Aber gerade in Zeiten der Corona-Pandemie fällt es mir leichter, das Nicht-Planen durchzuhalten: Morgen früh ist vielleicht eh alles anders. Das ist eine gute Zen-Übung. Versucht es auch mal! Bewährt hat sich der „Verrückte Partnertag“: Jede Woche legt eine Person fest, was wir Besonderes machen. Da stelle ich mir übrigens auch sehr schön mit Kindern vor: „Der verrückte Familientag.“ Wir haben schnell gelernt, uns nicht zu viel vorzunehmen. Morgendlicher Kick Off und Tagesstruktur Jeden Morgen besprechen meine Frau und ich beim ersten Kaffee, wie wir den heutigen Tag gestalten wollen. Wir versuchen jeden Tag eine Stunde gemeinsam Sport zu machen: Radfahren, Nordic Walking oder einfach mal gemeinsam Spazierengehen. Nach der morgendlichen Besprechung betreibe ich 20 Minuten Rückengymnastik. Denn: Erledige ich meine Rückengymnastik morgens nicht, mache ich sie gar nicht. Danach geht es ins Büro. Meistens sitze ich zwischen 08:00 und 08:30 Uhr an meinem Arbeitsplatz. Zuerst erledige ich organisatorische Dinge, die mir nicht so leicht von der Hand gehen. Meine Aufgaben schreibe ich mir in den Kalender. Und wenn ich etwas erledigt habe, lösche ich die Aufgabe. Meine Frau schreibt alles auf Zettel. Den Zettel zu zerreißen, ist ein schönes Ritual, und erledigt eine Aufgabe auch ganz real. Im Büro achte ich intensiv auf die bereits fortgeschrittene Uhrzeit. Spätestens nach einer Stunde stehe ich auf und bewege mich. Alleine arbeiten ist einfach viel intensiver. Am Nachmittag lese ich in der Regel und mache mir Gedanken, wie ich das Gelesene in die Betriebsratsarbeit integrieren kann. Schafft euch einen eigenen Arbeitsplatz Meine Frau und ich haben jeweils eigene Arbeitszimmer. Das ist hilfreich. Abends können wir einfach die Türen schließen und am nächsten Tag weiterarbeiten. Das hat sich sehr bewährt. Daher mein Tipp: Schafft euch euren eigenen Arbeitsplatz und trennt diesen vom Rest der Wohnung ab – beispielsweise mit Pflanzen, Paravents oder Vorhängen. Es ist wichtig, vom Arbeitsplatz aus nicht auf sonstige „To Dos“ im Haushalt sehen zu können – sonst ist man schnell abgelenkt. Und umgekehrt gilt: Es ist nicht hilfreich, auf den Arbeitsplatz sehen zu können, wenn ihr im Freizeit-Modus seid. Eins geht gar nicht: Im Bett oder auf der Couch zu arbeiten. Neben gesundheitlichen Themen geht es auch um klare Abgrenzung zwischen Beruf und anderen Bereichen deines Lebens. Kleider machen Leute „Raus aus dem Bett und rüber an den Schreibtisch“. „Waschen und anziehen kann ich mich auch später“. „Heute mache ich mal Nackt-Akquise“: Das habe ich mir alles schnell abgewöhnt. Sich morgens bewusst Zeit zu nehmen ist wichtig! Die täglichen Rituale vor dem Home Office sollten denen vor dem Aufbruch ins Büro durchaus ähnlich sein. Sich mit passender Kleidung ins Home Office zu setzen, kann eine starke Wirkung entfalten. Nicht umsonst heißt es: „Kleider machen Leute.“ Und wer auch auf den Weg zur Arbeit nicht verzichten will, läuft einfach zweimal um den Block und setzt sich dann daheim an den Schreibtisch. Tagesrückblick – Daily Close Am Abend gehe ich gedanklich durch, was ich heute alles gemacht, geschafft und erledigt habe. Wenn etwas nicht gut funktioniert hat, überlege ich mir, woran es gelegen hat. Es hat durchaus einige Zeit in Anspruch genommen, bis ich rausgefunden habe, was gut zu mir passt. Das war ein wichtiger Prozess. Denn: Wenn der Ablauf gut zu uns passt, dann klappt es auch mit der Konsequenz. Wie du herausfinden kannst, welcher Tagesablauf gut zu dir passt? Stell dir einfach folgende Fragen: Wie gestalte ich meinen Arbeitsplatz? Ist-Analyse: Was mache ich eigentlich den ganzen lieben Tag lang? Was stört mich bei der Erledigung? Was lenkt mich ab? Welche Gefühle begleiten die einzelnen Tätigkeiten? Welche Rituale kann ich ins Home Office integrieren? Welche neuen Rituale brauche ich? Start in den Tag – Daily Kickoff: Was machen ich heute? Was machen wir heute? Tagesrückblick – Daily Close: Was habe ich geschafft? Was hat gut oder nicht gut funktioniert? Bleibt die Frage: Wie geht es auch eigentlich im Home Office? Habt ihr Erfahrungsberichte oder Tipps und Tricks, die anderen weiterhelfen können? Dann kontaktiert uns bitte! Und zum Autor: Rudolf Reitter ist freiberuflicher Trainer und Berater. Sein zentrales Thema ist „Erfolgreiche Teamarbeit im Betriebsrat“. Dies ist auch der Titel seines Buches. https://derbetriebsraeteberater.de https://www.facebook.com/RudolfReitter/ https://www.linkedin.com/

  • Jede kämpft für sich allein

    von Wibke Charlotte Gneuß, 21.4., Zeit Online Moderne Arbeitgeber machen ihre Mitarbeiter glauben, Hierarchien gäbe es nicht mehr und kollektive Organisierung sei unnötig geworden. Ein Trugschluss, wie sich zeigt. ZUM ARTIKEL # PRESSE

  • Digitale Werkzeuge, die euch durch die Corona Krise helfen: #2

    Wir sind gezwungen, unsere Aufgaben als Betriebsrat von zuhause aus zu bewältigen. Glücklicherweise gibt es viele digitale Anwendungen, durch die wir unsere Zusammenarbeit sinnvoll gestalten können, ohne dass wir uns dazu persönlich austauschen müssen. In dieser Artikelserie stellen wir euch funktionale Tools vor, die eure Zusammenarbeit sinnvoll unterstützen. PROJEKTMANAGEMENT-TOOLS: EXTREM ÜBERSICHTLICH UND KOLLABORATIV Gemeinsame detaillierte Projektplanung: schwer durchführbar. Aufgabenverteilungen und Projektfortschritte: ziemlich unklar. Wichtige Dateien: kein Zugriff. Die Kommunikation mit den Projektmitarbeitern: knirscht gewaltig. Wo stehen wir eigentlich gerade und was soll ich als nächstes anpacken: Keine Ahnung. Wer kennt solche unsicheren Momente aus dem Arbeitsalltag eigentlich nicht? Und häufen sie sich nicht, seit wir im Home Office „gefangen“ sind? In solchen oder ähnlichen Fällen könne Projektmanagement-Tools wie Trello und Meistertask wahre Wunder wirken. Denn sie helfen immens bei der Planung und Durchführung von gemeinsamen Projekten jeglicher Skalierung. Im Prinzip sind solche Anwendungen nach dem Vorbilder agiler Arbeitsmethoden wie beispielsweise „Kanban“ gestaltet. Das heißt, dass der Prozess in Phasen dargestellt wird. Alle Aufgaben werden als Karten in verschiedenen „Boards“ organisiert. Hierbei wandern sie von einer Phase zu nächsten. Auf diese Weise könnt ihr alle Prozessschritte, Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Termine auf den ersten Blick erkennen. Über diese Programme haben wir schon häufiger berichtet. Wie ihr sie einrichtet und was ihr mit ihnen genau anstellen könnt, erfahrt ihr hier: https://www.neue-betriebsraete.de/post/arbeitsorganisations-tipps-projektmanagement-mit-meistertask https://www.neue-betriebsraete.de/post/arbeitsorganisations-tipps-projektmanagement-verbessern-mit-trello https://www.inside-igmetall.com/tool-meistertask/ DROPBOX UND GOOGLE DRIVE VERBINDEN Besonders gut funktionieren Trello und Meistertask im Verbund mit Online-Speichern wie Google Drive oder der Dropbox. Ihr könnt die Daten, die für eure KollegInnen einsehbar oder bearbeitbar sein sollen, dort ablegen, und die betreffenden Links auf den Karten in euren Boards hinterlegen. Auf Google Drive können sogar mehrere MitarbeiterInnen gleichzeitig an einer Datei arbeiten: So sieht gute Arbeitsorganisation aus! Worauf ihr unbedingt achten solltet: Plant zeitliche Puffer ein – denn die Einarbeitung in neue Tools kann manchmal etwas dauern. Greift für Projektmanagement-Tools auf bewährte Organisationsstrukturen zurück. Beispielsweise: Geplant > In Arbeit > Erledigt! Die räumliche Distanz erfordert mehr Effektivität und Übersicht Fangt langsam an und ändert eure Prozesse nur in kleinen Schritten. Beachtet den Datenschutz: In kollaborative Tools dürfen personenbezogene oder sensible Daten keinen Eingang finden.

  • Betriebswirtschaftlicher Erfolg durch Mitbestimmung \ Studie

    Forscher der Universität Duisburg-Essen und des WZB belegen in ihrer neuen Studie, dass Gewinnerzielung und Mitbestimmung keinen Zielkonflikt ergeben. Hier findest du die Zusammenfassung der Hans-Böckler-Stiftung. Neben den erfreulichen aufgedeckten Zusammenhängen: Unternehmen mit starker Mitbestimmung seien rentabler und verfolgten häufiger eine Qualitäts- und Innovationsstrategie und Mitbestimmung sei nicht nur ein Garant für Standort- und Beschäftigungssicherheit, sondern darüber hinaus auch ein Faktor für wirtschaftliche Stabilität und Prosperität. findet sich am Ende der Zusammenfassung vielleicht der interessanteste Fingerzeig. "Das Ringen um adäquate Unternehmensstrategien" sei "mit Mitbestimmung wirtschaftlich erfolgversprechend." Das ist sehr ermutigend auf dem Weg in eine Wirtschaft, die von Arbeitnehmer*innen aus gedacht wird. Ein Grund mehr, noch mehr in Bildung zu investieren, um diese starke Mitbestimmung zu fördern. > zur Zusammenfassung > der vollständige Report

bottom of page