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145 Ergebnisse gefunden für „“

  • “Würde mich freuen, wenn diese Themen noch einmal angeboten werden.“

    Bericht von der Themenwoche: Digitale Kommunikation und Online Wahlkampf, Düsseldorf-Neuss von Dinah Trompeter, IG Metall Düsseldorf-Neuss Für alle interessierten Betriebsrät*innen, Schwerbehindertenvertrauenspersonen, JAVis und Vertrauensleute gab die Themenwoche Digitale Kommunikation und Online Wahlkampf einen Gesamtüberblick über die Werkzeuge, die für eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit und den Wahlkampf im Betrieb erforderlich sind. Für die bevorstehenden Betriebsratswahlen sind die aktuellen und künftigen Kontaktbeschränkungen, die Kurzarbeit und das Homeoffice eine echte Herausforderung. Sie schränken unsere über die Jahre gewachsenen Wege der Kommunikation deutlich ein. Die digitale Kommunikation ist also wichtiger denn je in der betrieblichen Arbeit. Wir müssen also in den Kommunikationsräumen zugegen sein müssen, wo sich unsere Kolleg*innen aufhalten. Sonst erreichen wir sie schlicht nicht, die Kommunikation geht an uns vorbei. Einmal mehr, da wir im privaten Bereich es längst gewohnt sind über digitale Plattformen Informationen zu erhalten und mit anderen zu teilen. Wir empfinden es im Privaten als weitestgehend normal, in Stakkato, zum Teil nur mit Bildern oder Icons, zu kommunizieren. Wir machen im kommunikationswissenschaftlichen Sinne keinen Unterschied zwischen Chat und Dialog. Die Übergänge von dem einen Kommunikationsraum zum anderen sind fließend. Aber warum fällt uns das im professionellen Umfeld immer noch schwer? Wieso nutzen wir für die Öffentlichkeitsarbeit von Vertrauensleuten und Betriebsräten die vorhandenen Kommunikationsräume weniger oder nicht so souverän? Wir haben in der Geschäftsstelle Düsseldorf-Neuss in Kooperation mit dem Bezirk NRW diese Herausforderung aufgegriffen und mit der Themenwoche ein Angebot geschaffen, um allen Interessierten einen Weg zum Umgang mit digitalen Kommunikationsformen zu ermöglichen. Rund 70 Teilnehmer*innen pro Tag besuchten die verschiedenen Module. Von absoluten Anfängern, über Hobbyfotografen bis hin zu erprobten Öffentlichkeitsarbeiter*innen war alles mit dabei. Die Themenwoche war ein bisschen wie eine Überraschungstüte. In jedem Modul lag der Schwerpunkt auf einem anderen Thema. Alle Referierenden haben auf ihre Art ein unterhaltsames, lehrreiches, digitales Erlebnis geschaffen. Ganz herzlichen Dank an alle, die mitgewirkt haben. Uns hat es sehr viel Spaß gemacht.

  • Bildung, Beteiligung, Empowerment und Macht

    Über (Macht-)Potenziale in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit von Jonas Künkel Wir haben eine Schwarmintelligenz, die in der gemeinsamen Auseinandersetzung zum Ausdruck kommt und uns ermöglicht, neue Antworten zu finden und wirksam zu sein. Zwei positive Beispiele. Empowerment und Beteiligung sind für mich Grundpfeiler und Bezugspunkt unserer gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Wir wollen Menschen dazu befähigen, selbst aktiv zu werden und als Gewerkschafter*innen und Demokrat*innen im Sinne unserer Solidargemeinschaft zu handeln. Empowerment verstehe ich als einen ganzheitlichen Arbeitsansatz. Dieser ist im Rahmen gewerkschaftlicher Bildungsarbeit geeignet, Selbstbefähigung zu fördern, Autonomie und Eigenmacht zu stärken. Die Kolleg*innen werden dabei unterstützt, ihrer Fähigkeiten und Talente einzusetzen, zu entwickeln. Es werden neue Ressourcen freigesetzt. Wenn sich Kolleg:innen eigenverantwortlich engagieren, sind diese potenziell stärker involviert. Wir möchten Lern- und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen. Durch Empowerment und einen ganzheitlichen Beteiligungsansatz Kolleg*innen dabei unterstützen, in den Betrieben Erfolge und Selbstwirksamkeit zu erlangen. Die politische Partizipation der Kolleg:innen wird ebenso gestärkt, wie ihre Identifikation mit der Gewerkschaft und der Demokratie. Unsere Stärke ist zudem die Einbeziehung von Vielfalt und unterschiedlichen Perspektiven, gerade in der Transformation. Diese Schwarmintelligenz, die in der gemeinsamen Auseinandersetzung zum Ausdruck kommt, ermöglicht uns, neue Antworten zu finden. Auch weil sie hinterfragt, kritisch ist und reflektiert. Neben dem Projekt die IG Metall vom Betrieb aus denken und den dazugehörigen Modulreihen gibt es viele gute Beispiele von Empowerment und Beteiligung - beispielsweise in verschiedenen betrieblichen Konflikten und Tarifbewegungen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschäftsstelle Schweinfurt, die gemeinsam mit ihren Vertrauenskörpern ein Projekt entwickelt hat, das bewusst auf Auseinandersetzung setzt– und zwar jede*r mit sich und zusätzlich im Dialog mit anderen. Diese Auseinandersetzung, diese konstruktive Reflexion ist der Schlüssel für einen tiefgreifenden Veränderungsprozess, der sowohl individuelle als auch kollektive Dimensionen hat. Sie ist der Schlüssel für Entwicklung. Die Spannung, der Konflikt zwischen zwei Polen sorgt für Bewegung, für neue Erkenntnisse und Ideen – wenn wir sie konstruktiv zu nutzen wissen. Ein weiteres positives Empowerment-Beispiel ist der Ortsjugendausschuss (OJA) der Geschäftsstelle Mainz-Worms. Dort solidarisierte sich der OJA mit einem Javi, welcher als Pflegekind und Azubi nach der gültigen Rechtslage 75 % seines Azubi-Gehalts an den Staat zurückzahlen musste. Nach dem Motto: „Wir haben dich vorher finanziert, und jetzt kannst du etwas zurückzahlen“. Der OJA nahm das Thema selbstbestimmt in die eigenen Hände und erwirkte mithilfe von Ministerpräsidentin Malu Dreyer – öffentlichkeitswirksam – die Initiative „Gerechtigkeit für Pflegekinder“, die es schaffte, das Thema in den Bundestag und Bundesrat zu tragen. Für den OJA war die Reduzierung des Beitrags für Pflegekinder ein großer Erfolg, obwohl der Kompromiss auf einen 50%-Beitrag kritisiert wurde. Die Wirkweise der Demokratie war in diesem Prozess für den OJA Mainz-Worms direkt erlebbar. Es ist die Basis für eine lebendige Demokratie und gleichzeitig auch Grundlage für das Entwickeln und Verteidigen stabiler demokratisch-solidarischer Werte und Überzeugungen, die uns als Gewerkschaft ausmachen. Denn gerade in einer Kultur der Vielfalt müssen wir in der Lage sein, auch eine klare Kante zu zeigen. Gegen rechts, gegen Antisemitismus und Ausgrenzung. Und zwar kontinuierlich, gemeinsam mit anderen. Empowerment heißt im Kern Verantwortung zu übernehmen, für sich, andere und unsere Demokratie. Kolleg:innen ganzheitlich zu beteiligen und zu empowern. Darin stecken für uns als Solidargemeinschaft und Gewerkschaft enorme Machtpotentiale. Macht, die Transformation in Sinne der Kolleg*innen konstruktiv zu gestalten. Und Macht, als Gewerkschaft für eine demokratische Gesellschaft zu kämpfen!

  • Die Bildungszentren der IG Metall wechseln ab sofort in das 2G-Modell

    M E L D U N G Aufgrund der veränderten Corona Verordnungen auf Länder- und Bundesebene ändern sich die Teilnahmevoraussetzungen in den IG Metall Bildungszentren. Beherbergung und Gastronomie sind nur unter 2G möglich. Die Sicherheit und Gesundheit unserer Teilnehmenden steht für uns an oberster Stelle. Seminare können mit einem gültigen Impfnachweis (Impfung + 14 Tage in digitaler Form /Impfausweis) oder Genesenenzertifikat (nicht älter als 6 Monate) besucht werden. In den Bildungszentren werden zu Sicherheit aller Beteiligten weiterhin Schnelltests angeboten. Bei Fragen wendet euch bitte an bildung@igmetall.de

  • Die Stimme abgeben - und die Stimme erheben

    Michael Jänecke zum heutigen bundesweiten Aktionstag Wir genießen in Deutschland das Recht auf freie, geheime, allgemeine und gleiche Wahlen. Manche Metaller*innen sind parteipolitisch engagiert; die meisten von uns machen ganz selbstverständlich vom Wahlrecht Gebrauch. Das geht kaum, ohne abzuwägen, denn keine Partei lässt sich zu 100 % mit den Positionen der IG Metall in Deckung bringen. Nach der Bundestagswahl stehen die Mehrheitsverhältnisse fest, wir werden es mutmaßlich mit gleich drei Regierungsparteien zu tun haben. Daraus folgt, dass keine der künftigen Regierungsparteien ihr Programm vollständig umsetzen kann. Alle müssen Teile ihrer eigenen Vorstellungen preisgeben, bzw. Zugeständnisse an die andern machen. Zugleich ist einstweilen noch sehr offen, wer sich in welchen Punkten bewegen wird. Wie die Konturen der konkreten Politik in den kommenden vier Jahren aussehen werden, wird derzeit verhandelt. Sicher ist, dass die Regierungspolitik Auswirkungen auf die Gewerkschaften im Allgemeinen, die IG Metall im Besonderen sowie die Anzahl und Qualität von Arbeitsplätzen ganz konkret haben wird. Deshalb liegt es in unserem Interesse, diejenigen in den Parteien, die unsere Positionen teilen oder jedenfalls offen für unsere Anliegen sind, zu unterstützen und zu informieren, damit unsere Interessen besser gewahrt werden können. Auch in der Öffentlichkeit können wir Einfluss auf zukünftige Entscheidungen nehmen. Ist das zu optimistisch gedacht? Ein Blick auf die Anfänge der BRD In den späten 1950er Jahren konnte die konservative Bundesregierung sich in einer Koalition auf eine stabile Mehrheit (344 von 509 Mandaten) stützen. Angeführt wurde sie von Konrad Adenauer, der sich wenige Jahre zuvor mit dem damaligen DGB-Vorsitzenden Hans Böckler in scharfer Tonlage in Fragen der Mitbestimmung auseinandersetzte. Die KPD wurde im Sommer 1956 verboten, das gesellschaftspolitische Klima war nicht unwesentlich vom Kalten Krieg geprägt. Tatsächliche oder vermeintlich „linke“ Anliegen standen nicht auf der Tagesordnung. Von diesen ungünstigen Kampfbedingungen unbeeindruckt, wagte es die IG Metall dennoch, ein massives Gerechtigkeitsproblem anzugehen. Bis dahin kamen Angestellte vom ersten Tag einer etwaigen Krankschreibung an in den Genuss von Lohnfortzahlung. Für Arbeiter*innen galt dies erst ab dem dritten Tag. Der Weg zur tariflichen Überwindung dieser Gerechtigkeitslücke war lang und steinig. Ganze 114 Tage streikten die Kolleg*innen in Schleswig-Holstein über den Jahreswechsel 1956/57 hinweg. Dieser - am Ende erfolgreiche – Kraftakt ebnete den Weg zur späteren gesetzlichen Verankerung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das gelang nicht zuletzt deshalb, weil nicht nur die interne Mobilisierung funktionierte, sondern auch in der Öffentlichkeit nachvollzogen werden konnte, dass es nicht akzeptabel war, gewerbliche Beschäftigte schlechter zu behandeln als Angestellte. Ein einmaliger Erfolg trotz rauen Klimas? Die 1980er Jahre Drei Jahrzehnte später kam Helmut Kohl durch einen Koalitionswechsel der FDP an die Mach. Bei der unmittelbar folgenden Bundestagswahl 1982 bestätigte die deutsche Wahlbevölkerung diesen Wechsel (290 von 520 Mandate). Das plakative Label lautete in den Worten von Kohl seinerzeit „geistig-moralische Wende.“ Ein Übermaß an Sozialstaat sei zu überwinden, indem „der Gürtel enger geschnallt werden“ müsse, hieß es. Dass ausgerechnet in diese Stimmung hinein ein Kampf zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit erfolgreich sein würde, war keineswegs ausgemachte Sache. Der Kanzler selbst sagte: „Die Forderung nach der 35-Stunden-Woche ist absurd und dumm. Es ist töricht, zu glauben, wir könnten besser leben, wenn wir weniger arbeiten und leisten“. Und doch war die Auseinandersetzung am Ende erfolgreich. Nach hartem Arbeitskampf, einem knapp siebenwöchigen Streik in Baden-Württemberg und Hessen sowie der Aussperrung von rund einer halben Million Beschäftigter, gelang es, die vormals eherne 40-Stunden-Grenze in der Arbeitszeit der Metall- und Elektroindustrie zu knacken. In einem stufenweisen Prozess wurde die 35 dann im Jahr 1995 erreicht. Wichtig dabei war, in der Bevölkerung für das Thema Massenarbeitslosigkeit zu sensibilisieren, um abermals eine Gerechtigkeitslücke sichtbar zu machen: Die zwischen Arbeitsplatzbesitzer*innen und Erwerbslosen. Wenn es nicht hinkt, ist es kein Vergleich. Heute, 29.10.2021 Nicht nur die politische Lage heute ist ungleich differenzierter als in den beiden historischen Beispielen. Auch wird sich die neue Bundesregierung nicht eindeutig einem politischen Lager zuordnen lassen. Und es geht in dieser Woche auch nicht um die Durchsetzung unserer Ziele in Tarifverträgen. Aber es geht um eine sehr grundsätzliche Zukunftsfrage: Wie können wir die Herausforderungen der Transformation bewältigen? Dazu werden wir auch im Jahr 2021 mindestens auf die Akzeptanz unserer Vorstellungen in der breiten Öffentlichkeit angewiesen sein. Im Idealfall können wir (zumindest punktuelle) Bündnisse schließen und darüber auch gewerkschaftsferne Kreise erreichen. Deshalb ist ebenso notwendig wie sinnvoll, heute auf den Straßen in ganz Deutschland sichtbar zu sein und für einen fairen, sozialen und ökologischen Wandel der Industrie einzutreten. Unsere Forderungen von der neuen sich konstituierenden Zukunftskoalition findet Ihr hier! Michael Jänecke ist freiberuflicher Politologe und arbeitet als Außenreferent für die gesellschaftspolitische Bildung der IG Metall. Seine Schwerpunkte liegen in den Themen Europa, Geschichte, Respekt! und Social Media.

  • Chaja Boebel. Drei Fragen an unsere Expertin "gegen" Rechtspopulismus

    Chaja Boebel ist verantwortlich für gesellschaftspolitische Seminare im Bildungszentrum Berlin. Dazu gehören die Geschichts- und europapolitischen Seminare, aber auch alles, was mit dem Thema Rechtspopulismus zu tun hat. Darüber hinaus führt Chaja nicht nur durch Seminare, sondern berät betriebliche und andere Gremien. Drei kurze Fragen an Chaja Boebel: 1. Über welches Thema kannst Du ohne Vorbereitung 30 Minuten referieren? Über viele, das ist leider eine berufliche Deformation von Bildungsreferent*innen. Aber wenn ich mir nur eines aussuchen muss, dann würde ich im Moment darüber sprechen, warum gerade in der Phase der Pandemie viele Leute anfällig für die einfachen Antworten sind, die Verschwörungsvorstellungen in komplexen Situationen liefern – und warum das gefährlich ist. 2. Drei Themen, die jedes BR-Mitglied/jede/r Aktive in diesem Jahr lernen sollte. Argumentationsstrategien, um in betrieblichen Debatten unsere demokratischen Werte zu verteidigen, ein (auch historisch hergeleitetes) Verständnis dafür, warum wir als IG Metall für diese Werte eintreten – und warum die EU, obwohl sie dringend reformbedürftig ist, für die IG Metall unverzichtbar ist (daran schließt sich die herausfordernde Aufforderung an, über Reformen und ihre Umsetzbarkeit nachzudenken). 3. Welches Buch sollte jeder gelesen haben und warum? Klaus Kordon, „Die roten Matrosen“. Sachbücher und Gesetzestexte sind unverzichtbar, gewiss. Wenn wir nachvollziehen wollen, warum Menschen wie handeln und wie zerrissen sie in ihren Entscheidungen in historischen Situationen waren, die aus unserer heutigen Perspektive so eindeutig wirken, dann können gut geschriebene historische Romane helfen. Sie begleiten uns in die jeweilige Zeit; anhand unterschiedlicher Schicksale begreifen wir, dass die Menschen früher genauso mit sich, den Herausforderungen und mit ihren Mitmenschen gerungen haben wie wir. Das macht demütig und stärkt. Vielen Dank, liebe Chaja!

  • Demokratie als Kultur

    Kultur verbinden wir mit Musik, Theater oder Museen. Das ist nicht falsch. Doch der Begriff Kultur umfasst mehr: Kultur ist die Art und Weise, wie wir Menschen unser Zusammenleben gestalten. Im Staat, in der Gesellschaft, in verschiedenen Gruppen und Zusammenhängen. Somit gibt es auch in demokratischen Staaten demokratische Kulturen. Diese spiegeln sich in allen Organisationen im Staat wider. Also auch in der IG Metall. Ein Kommentar von Chaja Boebel Als Gewerkschaft sind wir eine kollektiv aufgestellte Massenorganisation, die darauf angewiesen ist, viele Mitglieder zu haben. Unsere satzungsgemäßen betriebspolitischen Aufgaben können wir umso besser durchsetzen, je stärker wir in den Betrieben verankert sind. Da kann bei einzelnen Mitgliedern leicht das Gefühl entstehen, „es kommt doch auf mich nicht wirklich an“, weil ja, wenn es um tausende geht, eine einzige Person keine besondere Rolle spielt. Das verlockt manchmal dazu, zu sagen „die IG Metall müsste doch mal wieder“ dieses und jenes tun. Wenn uns das im Seminar begegnet, antwortet immer irgendjemand im Raum fast gebetsmühlenartig: „die Gewerkschaft sind wir alle“. Trotzdem ist es leicht, sich hinter dem breiten Rücken der Masse zu verstecken. Manchmal ist es auch schwierig, die Bedeutung des einzelnen in einer großen Massenorganisation wahrzunehmen. Da hilft es, sich genauer mit der Entstehungszeit von Gewerkschaften zu beschäftigen. In der Frühphase der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, haben unter enorm harten Arbeitsbedingungen (bis zu 16 Arbeitsstunden pro Tag) die ersten Beschäftigten ihre Arbeit niedergelegt. Sie forderten nicht weniger als erträgliche Arbeitsbedingungen. Einzelne hätten das nie wagen können. Wenn nicht einige wenige als erste den Mut aufgebracht hätten, dann wäre gar nichts passiert. Und letztlich ist es immer, auch heute, die Entscheidung der einzelnen, was sie aus ihrem Beitritt in die IG Metall machen. Viele engagieren sich, weil sie sehen, dass nichts von selbst kommt. Sie erleben, dass es die vielen Individuen sind, die gemeinsam denken, streiten, kämpfen und sich vernetzt miteinander dafür einsetzen, dass ihre Ideen von anderen aufgenommen und durchgesetzt werden. Eine neue Idee mag in einem einzelnen Kopf entstehen. Damit sie wirksam wird, muss ein Prozess beginnen, in dem andere die Idee aufgreifen, mit ihren eigenen Meinungen abgleichen und weiter entwickeln. Wir lernen miteinander und aneinander, und jede Idee führt zu weiteren Gedanken, Vorstellungen und Forderungen. Häufig macht man dann im Betrieb die Erfahrung, dass man gemeinsam etwas geschafft hat und dass „die IG Metall“ aus all denen besteht, die daran beteiligt waren. Diese betriebliche Erfahrung lässt sich nicht eins zu eins auf die Ebene der Politik übertragen, aber es gibt doch viel Vergleichbares. Wenn es nicht so läuft, wie man sich das vorstellt, kommt häufiger mal ein Seufzer im Sinne von „die Politik müsste doch eigentlich……“. Aber wer ist eigentlich „die Politik“? Und wie kommt sie zu ihren Aufträgen? Auch hier kann man sich häufig als Individuum in der Masse der Bundesbürger*innen verlassen fühlen und den Eindruck haben, man könne so gar nichts bewegen oder wisse nicht so recht, wo man anfangen solle. Teil unserer demokratischen Kultur ist es, dass die Bevölkerung durch Wahlen ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten wahrnimmt. Aber wenn ich zur Wahl gehe – was bringt das eigentlich? Kann meine Stimme wirklich ausschlaggebend sein? Immerhin gibt es am 26. September ungefähr 60 Millionen Wahlberechtigte, kommt es da auf meine einzige Stimme wirklich an? Ändert es etwas, wenn man in eine Partei eintritt? In der Außenwahrnehmung sind „die Parteien“ häufig erstmal, wenn man von den jeweiligen Spitzenkandidat*innen absieht, gesichtslose Großorganisationen. Das schreckt viele Menschen ab. Doch ähnlich wie in der IG Metall kommt es auch in Parteien auf das Individuum nicht nur an, sondern ohne die Einzelnen könnten auch diese großen Organisationen nicht existieren. Und wiederum: zur Kultur unserer Demokratie gehören Parteien, weshalb es Menschen braucht, die sich darin engagieren und ihren politischen Willen zum Ausdruck bringen. Wichtig ist hier der Plural und wichtig ist die Pluralität in den Parteien. In der CDU zum Beispiel gibt es mit der CDA einen Arbeitnehmer*innenflügel, der sich immer wieder dann einmischt, wenn wirtschaftsliberalere Teile der Partei in seinen Augen zu weit nach vorne preschen. Auch alle anderen Parteien vereinen eine Vielfalt von Mitgliedern unter einem Dach. Sie teilen zwar die großen Überschriften und Werte, möchten diese aber dann doch im Detail sehr unterschiedlich ausbuchstabieren. Um gemeinsam zu tragfähigen Beschlüssen zu kommen, bedarf es der Bereitschaft, sich auf Aushandlungsprozesse einzulassen. Die Bedürfnisse des Gegenübers können dann ernst genommen werden, wenn die Einzelnen konfliktfähig und kompromissbereit zugleich sind um ein solidarisches Miteinander zu gestalten. Auch diese Prozesse kennen wir, zum Beispiel aus unseren Tarifverhandlungen. Je mehr Menschen sich an demokratischen Gestaltungsprozessen beteiligen, um so stabiler wird die Regierung. Stabil nicht im Sinne von stark, sondern stabil als zentraler und verlässlicher Teil des demokratischen Ganzen. Je weniger das geschieht, um so tönerner werden die Füße, auf denen unsere demokratischen Verfahren insgesamt stehen. Der kleinste Schritt ist die Teilnahme an Wahlen auf den unterschiedlichen Ebenen: Kommunal-, Landtags-, Bundestags- und Europawahlen stellen denkbar geringe Anforderungen an uns alle. Im besten Fall beschäftigt man sich mit den unterschiedlichen Wahlaussagen und misst sie als IG Metall-Mitglied an den für uns wichtigen und entscheidenden Forderungen (siehe Michaels Artikel), entscheidet dann, was man wie gewichtet und wählt entsprechend. Wer nicht mehr tut, als alle vier- oder fünf Jahre die Stimme abzugeben, tut zwar schon eine ganze Menge und nimmt ein Recht wahr, dass historisch und auch aktuell, mit einem Blick über Grenzen hinweg, nicht selbstverständlich war und ist. Ist das aber wirklich genug und gibt es nicht noch mehr? Wir sind als IG Metall zwar keine Partei, aber wir sind eine zivilgesellschaftliche Kraft, die in ihrer Satzung den Auftrag ausformuliert hat, bei vielerlei gesellschaftspolitischen Fragen mitzudiskutieren. Wir organisieren ein breites Spektrum der Bevölkerung (abgesehen von den Kindern, deren Eltern aber bei uns Mitglieder sind) und haben mit den verschiedenen Personengruppen auch Möglichkeiten, unsere Interessen zum Ausdruck zu bringen. Aber auch hier gilt es wieder: wenn sich die bei uns organisierten Frauen, Auszubildenden, Migrant*innen nicht in den Personengruppen zusammen finden, wird unsere Stimme schwächer, als sie sein könnte. Auch jenseits der IG Metall gibt es Möglichkeiten, zwischen den Wahlen aktiv zu werden. Bei Großdemonstrationen finden sich Bündnisse, die Querschnittforderungen auf die Straße tragen. Je mehr Gewerkschaftsmitglieder sich daran beteiligen, umso deutlicher wird auch unsere Stimme gehört. Man kann zu spezifischen Fragen die Bundestagsabgeordneten individuell aufsuchen oder in die diversen Gremien einladen, um Fragen, die uns wichtig sind, zu diskutieren und auch Abstimmungsverhalten zu hinterfragen. Wenn wir gewählt haben, dann ist das auch mit einem Auftrag an uns verbunden: Die Stimme nicht in der Wahlurne versenkt zu haben und darauf zu vertrauen, dass alles seinen geregelten Gang gehen wird, sondern die Wege und Möglichkeiten zu nutzen, die wir haben – und das sind häufig mehr, als viele Menschen denken. All das spielt auch in unserer Bildungsarbeit eine Rolle. In unseren Seminaren diskutieren und bearbeiten wir die Themen ja nie im luftleeren Raum, sondern immer an ganz konkreten (Fall-)Beispielen, die unsere Kolleg*innen direkt betreffen. Bei abstrakten Themen fragen wir umgekehrt, wo diese im Arbeitsalltag praktisch werden. Wird dann deutlich, dass es irgendwo hakt und bessere Lösungen gefunden werden müssen, auch im politischen Prozess, haben wir ein Thema identifiziert, das wir gemeinsam diskutieren, um Ansätze dafür zu finden, wo man wie mit wem handeln kann. Nicht im Sinne parteipolitischer Indoktrination, sondern im Sinne von Partizipation. Demokratie ist Arbeit, gewiss. Das wirklich wunderbar Herausfordernde daran ist, dass diese Arbeit für uns auch mit „Mitgestalten“ übersetzt werden kann – im Betrieb und in der Gesellschaft. Und wer die Erfahrung gemacht hat, dass man mitgestalten kann, möchte das auch weiter tun und nicht andere ausschließlich für sich handeln lassen. Chaja Boebel ist Historikerin mit den Schwerpunkten Geschichte der Arbeiterbewegung, jüdische und osteuropäische Geschichte; seit 1993 in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit und in verschiedenen geschichtspolitischen Projekten tätig; seit 2005 Bildungsreferentin im Bildungszentrum der IGM Berlin. Foto: Ludwig Wegmann. B 145 Bild-F033246-0022. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesarchiv_B_145_Bild-F033246-0022,_Bonn,_Bundestag,_Rede_Bundeskanzler_Brandt.jpg. * Anmerkung der Redaktion: Das Foto stammt von 1971 aus der Regierungserklärung zur Lage der Nation. Bedauerlicherweise gab es kein Foto mit Nutzungsrechten aus der Regierungserklärung von 1969, aus der das Zitat aus der Bildunterschrift stammt. Das ist natürlich nicht optimal und deshalb möchten wir das hier einmal zum Ausdruck bringen. Dankeschön für das Verständnis.

  • Ich kann sowieso nichts ändern vs. Gerade du kannst etwas ändern

    Deutschland ist eine repräsentative Demokratie. Jedes Gesetz, das von der Regierung vorgeschlagen und ausgearbeitet wird, muss von den Abgeordnet*innen des Deutschen Bundestages abgestimmt werden. Eine oft gefordert Alternative dazu ist die direkte Demokratie, in der die Bürger*innen direkt über Entscheidungen abstimmen. Vor Wahlen wird der Ruf nach mehr direkter Demokratie laut. Was bedeutete dass für die Entscheidungsfindung? Ein Kommentar von Michael Jänecke Alle reden von der Bundestagswahl, wir auch. Aber an dieser Stelle etwas grundsätzlicher als aktuelle Trends und Vorhersagen zu diskutieren. Am Anfang steht eine ganz grundsätzliche Frage: Was braucht es, damit Entscheidungen demokratisch sind? Die ebenso grundsätzliche Antwort lautet: Wenn die Mehrheit entscheidet. Das ist aber nicht die vollständige Antwort. Stellt Euch vor, es gäbe zum Beispiel während eines unpopulären Streiks eine Mehrheit zur Abschaffung des Streikrechts. Um so etwas zu verhindern, braucht es eine Kontrolle. Die würde in dem Fall vom Bundesverfassungsgericht ausgeübt, das ein solches Gesetz zweifellos aufheben würde. Es braucht also eine Sicherung, um Verstöße gegen die Verfassung zu verhindern und um Minderheiten zu schützen. Denn auch die gewerkschaftlich organisierten Menschen sind eine Minderheit in Deutschland. Wie sieht es denn aus, mit der demokratischen Praxis? Seit der letzten Bundestagswahl 2017 wurden – Stand 1. September - 546 Gesetze verabschiedet. Das sind ungefähr zweieinhalb Gesetze pro Woche. Auch wenn nur wenige das Inkrafttreten aller Gesetze bewusst wahrnehmen, bestimmen sie dennoch unser aller Leben. Alternative 1: Die Direkte Demokratie Stellen wir uns dennoch mal vor, in der Bundesrepublik würden wir in einer direkten Demokratie leben. Irgendwie müssten wir die Abgeordneten ja darüber informieren, wie wir in ihrem Wahlkreis mehrheitlich denken. Oder ohne Abgeordnete unmittelbar abstimmen. Das hieße, wir hätten durchschnittlich an jedem zweiten Arbeitstag darüber zu entscheiden, ob wir einem Gesetzentwurf zustimmen oder nicht. Selbst wenn wir größte Fortschritte in der Arbeitszeitverkürzung durchsetzen könnten, wäre es kaum möglich, genug Zeit aufzubringen, um das Für und Wider aller Gesetzgebungsverfahren nachzuvollziehen. (Das gilt übrigens auch für die Bundestagsabgeordneten. Weil beim besten Willen nicht alle alles durchdringen können, haben die einzelnen Fraktionen Spezialist*innen, die in Fachausschüssen intensiv arbeiten und dann den Kolleg*innen ein Abstimmungsverhalten im Sinn der grundsätzlichen Ausrichtung der jeweiligen Parteien empfehlen.) Da sich niemand mit allen Gesetzen beschäftigen möchte, sagen Anhänger*innen der direkten Demokratie oft: „Na dann sollten wenigstens die wichtigen Gesetze per Volksentscheid beschlossen werden.“ Das klingt erstmal gut, wirft aber die nächste Frage auf: Wer soll entscheiden, was wichtig ist? Konsequenterweise dürfte das dann nicht den Parlamenten überlassen werden. Das hieße, jedenfalls wenn die Frage der Wichtigkeit im Einzelfall entschieden werden würde, wir hätten an jedem Arbeitstag eine gesetzgeberische Entscheidung zu treffen. Alternative 2: Eine repräsentative Demokratie plus Volksentscheid Realistischer wäre natürlich eine Mischform: Üblicherweise entscheidet das Parlament und nur dann, wenn sich genügend Menschen aufraffen, einen Volksentscheid gegen einen Parlamentsentscheid anzustreben, würde eine solche direkte Entscheidung getroffen. Doch auch das wirft Konflikte auf, vor allem hinsichtlich der Frage, wie lange Entscheidungen denn gültig sein sollen. Heute ist es so: Eine Mehrheit im Bundestag verabschiedet das Gesetz A. Wenn es nach der nächsten Wahl zu anderen Mehrheiten kommt, dann ist es unstrittig, dass die neue Mehrheit bei nächster Gelegenheit Gesetz A aufheben oder durch Gesetz B ersetzen kann. Hätten wir jetzt auch Verfahren der direkten Demokratie, könnte – jedenfalls wenn ein Volksentscheid erfolgreich wäre - eine unpopuläre Entscheidung des Bundestages aufgehoben werden. Gesetz A wäre vom Tisch, Gesetz B würde gelten. Möglicherweise gibt es im Folgejahr eine Bundestagswahl und eine neue Mehrheit möchte dort Gesetz A wieder einführen oder Gesetz B so verändern, dass ein Gesetz C entstünde. Dürfte der Bundestag das dann? Oder sollten Gesetzte auf Basis von Volksentscheiden eine Schutzfrist haben? Das ließe sich dann als undemokratisch kritisieren, denn schließlich gäbe es eine demokratisch gewählte Mehrheit im Parlament. Eine andere Frage ist die der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen. Wer heute bezweifelt, dass ein Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist, kann das vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen. Das ist gar nicht selten erfolgreich. Immer wieder kassiert das Gericht ganz oder in Teilen Gesetze, die von Politprofis formuliert und verabschiedet wurden. Deshalb genießt das Verfassungsgericht hohes Ansehen in der Bevölkerung. Sollte eine solche Überprüfung auch bei solchen Gesetzen möglich sein, die per Volkentscheid zustande gekommen wären? Wenn nein, würden wir sehenden Auges das Risiko eingehen, mit verfassungswidrigen oder verfassungsfeindlichen Gesetzen zu leben. Wenn ja, würde die oft gehörte Kritik „die da oben entscheiden gegen uns“ nicht verstummen. Sie würde mit dem Verfassungsgericht nur einen neuen Adressaten finden. Ein weiterer Einwand gegen die bisherige Form unserer Gesetzgebung lautet: Wenn ich heute wähle, dann gibt es möglicherweise in drei Jahren neue Fragen, die heute gar nicht zur Diskussion stehen. Das ist sicher zutreffend. Andererseits wissen wir ja ungefähr, wie welche Parteien ticken und was wir von ihnen auch bei neuen Themen erwarten können. Die Herausforderungen durch Corona sind so ein Fall. Überraschend war aber kaum etwas. Erwartbar war, dass eine Partei die Existenz des Problems selber (jedenfalls in erheblichen Teilen) leugnet, eine andere mehr auf Eigenverantwortung als auf kollektive Sicherheit setzt und eine dritte bei der Diskussion aller Maßnahmen vor allem die Perspektive der einkommensschwachen Menschen zum Maß ihrer Positionen erklärt. Ebenso erwartbar war es wohl, dass die anderen drei Fraktionen vor allem Fragen der jeweiligen Ausgestaltung in den Fokus genommen haben, dabei aber zudem die Interessen der Bundesländer mitberücksichtigten, in denen sie in mehr oder weniger großem Umfang Regierungen prägen oder mittragen. Unabhängig davon, was wir von der bei uns gültigen Mehrheitsfindung halten, so tragen doch alle Wahlberechtigten unweigerlich mit ihrem Verhalten zur Gestaltung der Zukunft bei. Diejenigen, die sich enthalten oder ungültig stimmen, überlassen anderen die Entscheidung. Wählen wir demokratische Parteien, stärken wir die Demokratie, wählen wir andere, schwächen wir sie. Eines sollten wir uns schon der Wahl bewusst machen. Wenn es zu einer Koalition von drei Fraktionen kommt, dann verlangt das den Parteien eine – jedenfalls im Bund - ungewohnt hohe Kompromissbereitschaft ab. Sie können nicht anders, als auf die Durchsetzung eines Teils ihrer jeweiligen Programmatik zu verzichten. Wer denkt, die Parteien seien ohnehin ununterscheidbar, kann diese Einschätzung hier überprüfen: Synopse der IG Metall zur Bundestagswahl – Ein Vergleich der Übereinstimmungen Wahl-O-Mat – Programmatische Forderungen für die nächsten vier Jahre DeinWal – Informationen zum Abstimmungsverhalten in den letzten vier Jahren Das lohnt sich. Denn wir haben die Wahl. Das ist weder im historischen deutschen Vergleich noch im aktuellen Weltvergleich selbstverständlich. Dafür haben viele gekämpft, manche ihr Leben verloren. Es ist auch eine Frage des Respekts vor denen, denen ihr Wahlrecht vorenthalten wurde und wird, von unserem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Michael Jänecke ist freiberuflicher Politologe und arbeitet als Außenreferent für die gesellschaftspolitische Bildung der IG Metall. Seine Schwerpunkte liegen in den Themen Europa, Geschichte, Respekt! und Social Media. Bild: In der Artikel-Übersicht: Dt. Bundestag, Plenarsaal, Fotografin: © Simone M. Neumann. Im Artikel: Bildnummer: 1595720 aus dem Bildarchiv des Deutschen Bundestages. Fotograf: © Hans-Günter Oed, das Bild darf nicht auf Social Media geteilt werden. https://bilddatenbank.bundestag.de/site/picture-detail?id=1595720

  • Taktiken stehen auf tönernen Füßen

    "Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen." Dieses Zitat wird Mark Twain zugeschrieben. Es könnte aber ebenso gut von Clemens Fuest (ifo Institut) oder Manfred Güllner (Forsa) stammen. Oder nicht? Wie war das eigentlich bei der letzten Bundestagswahl 2017? Wie waren vor vier Jahren die Prognosen 14 Tage vor der Wahl im Vergleich zum amtlichen Endergebnis, festgestellt durch den Bundeswahlleiter? Umfragewerte 2017… Quelle: Screenshot aus dem Artikel Bundestagswahl 2017/Umfragen und Prognosen, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Bundestagswahl_2017/Umfragen_und_Prognosen … und das ist am Ende dabei rausgekommen: Die Ergebnisse 2017 Quelle: Screenshot aus der Pressemitteilung Nr. 34/17 vom 12. Oktober 2017 des Bundeswahlleiters https://www.bundeswahlleiter.de/info/presse/mitteilungen/bundestagswahl-2017/34_17_endgueltiges_ergebnis.html

  • Noch nicht entschieden

    Am 26.9. wählt die Deutsche Bevölkerung ein neues Parlament. Die Bundestagswahl 2021 fällt in eine Zeit von Überschwemmungen und einer leichten wirtschaftlichen Erholung im Inland. Und der Zäsur in der Außenpolitik, die der Abzug aus Afghanistan für die westlich geprägte Welt bedeutet. Die Frage ist, welcher Partei traust du am ehesten zu, die innenpolitischen Herausforderungen der Gegenwart zu meistern und einen positiven Beitrag in den internationalen Bündnissen zu leisten? Solltest du auf keine Partei und keine Personalie festgenagelt sein, sondern dich nur an Inhalten orientieren, dann hat traditionell die Bundeszentrale für politische Bildung das richtige für dich: Der Wahl-O-Mat. Ab Donnerstag, 2.9. hier, oder direkt bei der bpb.

  • Eine kurze Reise durch die Industriellen Revolutionen

    Der Begriff Transformation hat über 530.000.000 Treffer bei der Google-Suche. Über 12.000 User*innen suchen monatlich exakt nach: "Digitalisierung und Transformation in Unternehmen". Und auch wir haben den Begriff Transformation allein in unserem aktuellen Newsletter-Text achtmal verwandt. Ja, der aktuelle Wandel beschäftigt uns stark und das zurecht. Alles bleibt anders. Wie so oft, wie unser kurzer Ritt durch die Geschichte zeigt. Von Michael Jänecke Die Transformation ist ein Thema, dass uns nicht nur als Gewerkschaft beschäftigt, sondern auch viele Kolleg*innen verunsichert. Häufig ist auch von Industrie 4.0 oder der vierten Industriellen Revolution die Rede. Denn es gab schon früher so dichte Veränderungsschübe, dass sie den Zeitgenoss*innen revolutionär erschienen. Los geht's. (1) Die erste industriellen Revolution bedeutete den systematischen Einsatz von Dampfmaschinen zur tages- und jahreszeitenunabhängigen Industrieproduktion. Der Lebensrhythmus der meisten Menschen wurde fundamental verändert. (2) Die Einführung des Fließbandes revolutionierte die Produktion abermals. Die Beschäftigten erlebten nicht mehr die Entstehung eines Produkts, sondern trugen nur noch kleinteilig zum Produkt bei. Viele entfremdete das von der eigenen Arbeit. (3) Die dritte industrielle Revolution haben manche Beschäftigte noch in Erinnerung. Eine massenhaft betriebene Automatisierung der Fertigung durch Computer führte zum Wegfall zahlreicher Arbeitsplätze und zur Entstehung von neuen Berufen. Die erhöhte Produktivität machte den Schritt zur 35 möglich. In der historischen Draufsicht können wir feststellen: Transformation war immer – und damit auch die Konfrontation mit immer neuen Zumutungen. Im Nachhinein wurde das, was eben noch revolutionär schien, zu einer neuen Normalität. Die Normalität von morgen dürfen und werden wir ebenso wenig einfach geschehen lassen, wie frühere Innovationen. So wie industrielle Produktion ohne Innovationsschübe unvorstellbar ist, sosehr liegt es in unserer DNA, auf diese Innovationen Einfluss zu nehmen. Das macht Mut. Michael Jänecke ist freiberuflicher Politologe und arbeitet als Außenreferent für die gesellschaftspolitische Bildung der IG Metall. Seine Schwerpunkte liegen in den Themen Europa, Geschichte, Respekt! und Social Media.

  • Üble Nachrede? Sieben Vorurteile über die digitale Transformation

    Der Digitalisierung wird vieles nachgesagt. Wir schaffen für euch die gängigsten Vorurteile aus der Welt. Die Lernfabrik der Universität Bochum 1. „Wir können die Digitalisierung weder aufhalten noch beeinflussen.“ Die digitale Transformation ist ein vielschichtiges Thema und unterliegt vielschichtigen Kräfteverhältnissen. Eines muss jedoch ganz klar festgehalten werden: Sie ist kein blindes Naturgesetz, also kein vorherbestimmter, sondern von Menschen gesteuerter Prozess. Menschen entwickeln digitale Techniken und Menschen entscheiden darüber, welche digitalen Techniken in welcher Form in den Betrieben eingesetzt werden. Das heißt, dass wir diesen Prozess auch beeinflussen und verändern können – abhängig von unseren Zielen und Vorstellungen. 2. „Die Digitalisierung der Arbeitswelt macht uns alle arbeitslos.“ Natürlich leben wir in einer Wirtschaftsform, die auf optimale Kapitalverwertung abzielt. Und genau dieses Interesse liegt dem Einsatz neuer digitaler Technologien zumeist zugrunde. Viele Menschen denken beim Thema Digitalisierung sofort an „Rationalisierung“. Gemäß der Überzeugung: „Wir werden spätestens morgen arbeitslos sein, weil Roboter unsere Jobs übernommen haben werden.“ Die Gefahr ist zwar nicht ganz von der Hand zu weisen, aber in den Betrieben erleben wir momentan etwas anderes. Dort wird Digitalisierung beispielsweise eingesetzt, um Prozesse zu stabilisieren, um Qualitätssicherung zu gewährleisten oder um schnellere Reaktionen auf Kundenwünsche in der Fertigung zu erreichen. Die Folgen für unsere Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen müssen aber natürlich auch in diesem Kontext jeweils kritisch beurteilt werden. 3. „Bei der Digitalisierung stehen die Technologien im Zentrum.“ Die Einführung digitaler Technologien und Organisationskonzepte verändern die Arbeit in einem erheblichen Ausmaß. Genauer gesagt: Die Tätigkeiten selbst verändern sich und alle Arbeitsprozesse werden überwachbar und messbar. Und wenn wir mit intelligenten Systemen kooperieren, kann das unsere eigene Leistung abwerten, unseren Stresslevel erhöhen oder unsere Arbeitszeiten verändern. Wir müssen also wegkommen vom Technik-Fokus und stattdessen die Frage stellen: Was macht die Einführung der jeweiligen Technologie mit den Beschäftigten? Nehmen wir einmal das Beispiel Montage-Assistenz-Systeme. Wir bekommen auf einem Bildschirm den nächsten Montageschritt angezeigt. Über einem der Kistchen leuchtet ein Lämpchen auf, um uns anzuzeigen, wo wir hineingreifen müssen. Ein anderes Beispiel sind Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme (MES), die die Vernetzungslücken zwischen Management und Produktion schließen. Sie machen alle Prozesse einsehbar und kontrollierbar und verändern die Tätigkeiten in der Werkstatt. Und auch für die Mitarbeiter*innen, die die Arbeitsprozesse planen und steuern, verändern sich die Anforderungsprofile. Kurzum: Wissensressourcen und Rechenleistungen gehen vom Menschen auf den Computer über. 4. „Auf die Digitalisierung der Arbeitswelt kann ich mich nicht vorbereiten.“ Genau hierin liegt für uns als Bildungsbeauftragte die Herausforderung. Wir müssen begreifbar machen, welche Konsequenzen die Einführung neuer Technologien für unsere Arbeit hat. In der IG Metall haben wir hierfür die Formulierung gefunden: „Wir müssen unsere Kolleg*innen, insbesondere die Betriebsrät*innen und Vertrauensleute, in die Lage versetzen, eine Arbeitsfolgenabschätzung durchführen zu können.“ Aber wie? Um die mit der Einführung digitaler Systeme verbundenen Erfahrungen vermitteln zu können, haben wir beispielsweise unsere Kooperation mit Lernfabriken gestartet. Hierbei geht es nicht darum, unsere KollegInnen zu Ingenieuren oder Informatikern auszubilden. Arbeitsfolgenabschätzung heißt: „Ich muss ein Bild davon haben, wie die Technik die Arbeitssituation verändert und was das für die betroffenen Kolleg*innen hinsichtlich Arbeitsbelastung bedeutet.“ 5. „Bei der Digitalisierung versagen die Hebel klassischer Interessenvertretung.“ Die betriebliche Einführung neuer Technologien bringt also Themen wie Leistungspolitik, Eingruppierung, Beschäftigten-Datenschutz oder Entgelt auf den Tisch – es geht um mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten der Unternehmensentwicklung und damit um klassische Aufgabenfelder gewerkschaftlicher Interessenvertretung. Betriebsräte müssen dazu in der Lage sein, abschätzen zu können, welche Implikationen der Einführung neuer Technologien denkbar sind. Sie müssen überlegen: Sind diese Folgen durch bestehende Regelungen abgedeckt oder besteht hier neuer Regelungsbedarf? Erschwert wird diese Abschätzung oft dadurch, dass genaue Informationen über zu implementierende Systeme fehlen. Hier handelt es sich nicht immer um strategische Pflichtverletzungen des Managements. Dieses weiß oft selbst nicht, worauf das aufgesetzte Projekt hinauslaufen wird. In jedem Fall ist es für Betriebsräte wichtig, das Projekt von Anfang zu begleiten, die Kolleg*innen im Betrieb auf dem Laufenden zu halten und Meinungsbilder zu erstellen. Wie weit gehen wir mit? Was lehnen wir ab? Am Ende ist es wie immer wichtig, dass Entscheidungen des Betriebsrat durch die Belegschaft legitimiert sind. Und, dass die Voraussetzungen zu deren Mobilisierung geschaffen wurden. 6. „Die Digitalisierung beeinflusst die Arbeit im Betrieb – nicht die im Betriebsrat.“ In vielen Betrieben schreitet die Digitalisierung derzeit in großen Schritten voran. In der Folge steigen für Betriebsräte das Arbeitspensum und die Komplexität der Themen. Um gestaltungsfähig zu bleiben, müssen Betriebsräte hierfür passende Formen der Zusammenarbeit und des Projektmanagements entwickeln. Passen die Ausschüsse noch? Sollte man diese oder jene Funktionen bündeln? Wie ist die Rollenverteilung? Wer kümmert sich um die Außendarstellung in den Medien? Wie decken wir die juristische Seite ab? Wer kann notfalls auf den Gesetzgeber zugehen? Hierfür gibt es keine Patentrezepte. Auch das ist ein Thema für die Bildungsarbeit: die Organisationsentwicklung des Betriebsrats. 7. „Der Betriebsrat kann die pandemiebedingten Digitalisierungen ignorieren.“ Auch wenn sich viele die alte Normalität zurückwünschen – es werden einige Dinge bleiben. Aktuell gibt es drei Trends, die für Betriebsrät*innen und Interessenvertreter*innen eine Herausforderung darstellen. Erstens wird es in nächster Zeit ganz konkret um die Regulierung der Mobilen Arbeit und des Homeoffice gehen – auch nach Corona, denn viele Arbeitgeber, aber auch Arbeitnehmer sehen hier viele Vorteile. Dabei sind die Implikationen weitreichend: vom Arbeitsschutz über die Selbstbestimmung der Beschäftigten und die familiären Rollenverteilungen bis hin zur Unternehmensentwicklung. Hiermit hängt auch die Refunktionalisierung der Büroflächen zusammen: Diese werden nicht – entgegen vieler Meinungen – verschwinden, sondern für bestimmte Formen der (kreativen) Teamarbeit optimiert werden. Die Erfahrung hat einfach gezeigt, dass Brainstorming und kollaboratives Arbeiten über Zoom nicht besonders gut funktionieren. Zweitens das Thema „Künstliche Intelligenz“: Viele Anwendungen, die auf KI basieren, kommen ja nicht mit diesem Label daher. Gerade aus gewerkschaftlicher Sicht müssen wir uns darum kümmern, dass beispielsweise der Datenschutz gewahrt bleibt oder es hinter der vermeintlich objektiven Fassade der Technik nicht zu gesellschaftlichen Diskriminierungen kommt. Nicht zuletzt muss hier „Agiles Arbeiten“ genannt werden: Diese Form der Arbeitsorganisation hat große Vorteile in puncto Selbstverantwortung und Kreativität. Wenn die Verantwortung und der Leistungsdruck zu groß werden, bietet Agiles Arbeiten jedoch zugleich die idealen Voraussetzungen für Überlastung und Burnout. Auch auf diesen Zusammenhang müssen wir als Gewerkschaft ein Auge haben. Es gibt also viel zu tun – und vor allem viel zu gestalten! Wer tiefer einsteigen möchte – wir haben eine Vielzahl von Seminaren zum Thema Transformation der Arbeit. Für Einsteiger und erfahrene Akteure, online und bald auch wieder offline. Weitere Informationen und Termine findet ihr unter: neue-betriebsraete.de/online-seminare igmetall.de/Bildung

  • „Ich möchte mich einfach vorbereitet fühlen, wenn das im Unternehmen richtig losgeht.“

    Künstliche Intelligenz wird unsere Arbeitswelt schon in naher Zukunft gehörig umkrempeln – selbst wenn nur die Hälfte dessen eintritt, was die Zukunftsforscher vorhersagen. Das Online-Seminar „Künstliche Intelligenz im Betrieb mitbestimmen“ beschäftigt sich genau mit dieser Folgenabschätzung. Wir sprachen die beiden Referent*innen Moritz Riesinger und Julian Wenz, sowie die vom Unternehmen Heidelberger Druckmaschinen freigestellte Betriebsrätin Bianca Becker. Redaktion: Wir haben alle seit Jahrzehnten mit Computern zu tun. Sie unterstützen uns bei unserer Arbeit und machen vieles für uns einfacher. Wie lässt sich KI hiervon abgrenzen bzw. wo fängt es an, KI zu werden? Moritz: Wissenschaftliche Definitionen besagen, dass es sich hierbei um IT-Systeme handelt, die menschenähnliche intelligente Verhaltensweisen aufweisen. In der neueren Forschung wird die Betonung auf die Trainierbarkeit und Lernfähigkeit dieser Systeme gelegt. Für die betriebliche Interessenvertretung ist es allerdings sinnvoll, erstmal eine pragmatische Perspektive einzunehmen: Unter KI verstehe ich als Betriebsrat*in oder Vertrauensmensch alle von Computern ausgeführten Tätigkeiten, die bisher von Menschen ausgeführt wurden und mit menschlicher Intelligenz assoziiert werden. Ob dahinter ein Algorithmus steht, der fest nach dem Schema „wenn…., dann….“ funktioniert oder ob sich die Entscheidungen aufgrund von Lernprozessen verändern, ist dabei zunächst zweitrangig. Redaktion: Man könnte also sagen: KI ist am Modell des Menschen orientiert. Und es scheint um Tätigkeiten oder Entscheidungen zu gehen, die von Computern nach Maßgaben des Menschen selbständig vollzogen werden. Ist KI in den Betrieben eigentlich schon relevant? In welchen Bereichen wird sie derzeit schon eingesetzt? Julian: Das ist von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Selbst bei manchen großen Betrieben spielt KI noch keine entscheidende Rolle. Andererseits gibt es auch Betriebe, wo KI in sämtlichen Sektoren vorkommt: in der Logistik, der Personalabteilung, der Produktion, der Forschung und Entwicklung und sogar im Marketing. Dort kann heutzutage schon überall KI angewendet werden – in unterschiedlichen Formen. Und wir gehen davon aus, dass dieser Trend sich in Zukunft intensivieren wird. Bianca: Ich habe mich im Zuge meines berufsbegleitenden Studiums aus theoretischer Perspektive mit dem Thema auseinandergesetzt und daher am Seminar teilgenommen. Durch den Seminarbesuch ist mir erst bewusst geworden, dass wir in unserem Betrieb in der Personalabteilung bereits Künstliche Intelligenz einsetzen – nämlich in Form des Human Resource Management Tools Workday. Glücklicherweise hatten Julian und Moritz dieses System im Seminar vorgestellt, weswegen ich gewappnet war und die Einführung als Betriebsrätin sicher begleiten konnte. Du möchtest in das Thema tiefer einsteigen? Das Online-Seminar „Künstliche Intelligenz im Betrieb mitbestimmen“ gliedert sich in ein Einführungs- und in eine Aufbaueinheit von jeweils 90 Minuten, die innerhalb einer Woche belegt werden können. Der erste Teil widmet sich allgemein dem Phänomen KI, der zweite Teil nimmt dann stärker die Mitbestimmungsperspektive ein und es werden in Gruppen Fragestellungen bearbeitet. Somit eignet sich das Angebot sowohl für alle Aktiven und Interessierte, die sich mit dem Thema erstmalig vertraut machen möchten, als auch für Interessenvertreter, die im Betrieb mit KI konfrontiert werden. Die Teilnahme am Aufbau-Modul ist auch ohne die Teilnehme am Einführungs-Modul möglich. Hier findest du alle aktuellen Seminartermine Redaktion: Wo seht ihr in puncto KI denn eher positive Gestaltungsmöglichkeiten für uns als Gewerkschaft? Und wo seht ihr eher Probleme, die durch die Einführung solcher Systeme entstehen können? Bianca: Für mich ist das schwierig zu bewerten. Einerseits steht zu befürchten, dass durch die KI irgendwann nur noch die extrem hoch und extrem niedrig qualifizierten Jobs übrigbleiben. Also einerseits Entwickler*innen und Informatiker*innen, die diese Systeme entwickeln, und andererseits Ungelernte, die in das System stupide Stammdaten einpflegen müssen – während beispielsweise die Sachbearbeitung beim Einkauf wegrationalisiert werden kann. Andererseits passt dies auch zu dem Trend, dass die normalen Ausbildungsberufe unter Jugendlichen nicht mehr besonders populär sind. Viele, die eine Ausbildung gemacht haben, studieren danach noch weiter. Hieraus ergibt sich evtl. die Chance, dass man jene Jobs, die man künftig nicht mehr durch menschliche Arbeit besetzen kann, durch KI ausführen lässt. Und dies hoffentlich ohne Nachteile für die Beschäftigten – Stichwort: „Der gläserne Mitarbeiter“. Moritz: Das ist ein guter Punkt. Greifen wir nochmal das Beispiel Workday auf: Dieses System wird in der Personalabteilung eingesetzt, um nicht nur Stammdaten, sondern beispielsweise auch die Kompetenzen und Performance-Werte der Mitarbeiter*innen zu verarbeiten. Theoretisch kann Workday Entscheidungen über Einstellungen, Beförderungen, Weiterbildungen oder Auswahl von Personal für bestimmte Aufgaben selbständig treffen. Das tangiert natürlich den Datenschutz und damit die Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Mitarbeiter*innen. Julian: Ein weiteres Problem solcher KI-Systemen besteht ja auch darin, dass sie den Entwicklern zufolge objektive Entscheidungen treffen können. Nach deren Vorstellung sind KI-Systeme diskriminierungsfrei, kennen keine Vetternwirtschaft und so weiter. In der Realität ist es allerdings häufig so, dass sich durch die Dateneingabe und durch das Training dieser Systeme Diskriminierungen durch die Hintertüre wieder einschleichen. Wie ein Fall bei Amazon in den USA gezeigt hat, können solche Tools im Personalwesen bei Einstellungen Männer gegenüber Frauen bevorzugen, obwohl nur geschlechtsneutrale Daten zur Verfügung gestellt wurden – und zwar dann, wenn sie an den diskriminierenden Entscheidungen der Personaler geschult worden sind. Redaktion: Aber das ist ja dann ein Problem, dass seine Wurzeln in gesellschaftlichen Vorurteilen hat, oder? Dürfen wir KI dafür verantwortlich machen? Moritz: Natürlich hat Diskriminierung gesellschaftliche Wurzeln. Das Gefährliche ist hier nur das Versprechen der Objektivität. Denn dieser Gender Bias, dieser geschlechtsbezogene Verzerrungseffekt, bleibt gewöhnlich verborgen – im Gegensatz zum Rassismus oder Sexismus eines offen agierenden Personalers. Es ist also ganz wichtig, dass die Kolleg*innen die Einführung solcher Systeme begleiten, um hinter den Deckmantel der scheinbaren Objektivität blicken zu können. Redaktion: Was empfehlt ihr Betriebsräten, deren Betrieb ein KI-System einführen möchte. Welche Aufgaben kommen auf sie zu und wie können sie sich darauf vorbereiten? Julian: Wenn KI eingeführt wird, ändern sich meist viele Abläufe im Betrieb – wodurch auf Betriebsräte und Mitbestimmungsorgane viele Aufgaben zukommen. Konkret berührt das fünf mitbestimmungspflichtige Felder: die Beschäftigungswirkung, den Datenschutz, die Arbeitsgestaltung, die Qualifizierung und die Arbeitsorganisation. Die Einführung von KI berührt fünf Felder der Mitbestimmung: Beschäftigungswirkung Datenschutz (mit Leistungs- und Verhaltenskontrolle) Arbeitsgestaltung (mit Arbeits- und Gesundheitsschutz) Qualifizierung und Personalentwicklung Arbeitsorganisation (Arbeitszeit, Leistung, Entgelt) Moritz: Die Einführung von KI-Systemen muss man sich als Prozess vorstellen. Das Wichtigste ist, dass der Betriebsrat von Anfang an informiert und beteiligt wird – und nicht erst, wenn die Entscheidung für ein System schon gefallen ist. Unternehmen, die ohne Betriebsvereinbarung und die Zustimmung der Beschäftigten neue Systeme implementieren, handeln im Prinzip sogar rechtswidrig. Julian: Wir empfehlen, zunächst eine Vereinbarung über den Einführungsprozess abzuschließen. Da nicht alle Betriebsräte über Expert*innen verfügen, halten wir es außerdem für ratsam, Expertise von Außen hinzuzuziehen. Das neue Betriebsrätemodernisierungsgesetz schafft hierfür gute Voraussetzungen. Sodann müssen natürlich die Beschäftigten angehört und beteiligt werden. Letztlich ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen: Wer entscheidet am Ende – die KI oder der Mensch? Wer hat Zugriff auf die Daten und deren Auswertung? Wo liegen die Daten? Und falls diese Fragen nicht beantwortet werden, ist natürlich auch die Mobilisierungsfähigkeit der Beschäftigten bedeutend. Neue Vorgaben zur Einbindung des Betriebsrats bei der Einführung von KI Ende März hat das Bundeskabinett den Entwurf eines „Betriebsrätemodernisierungsgesetzes“ verabschiedet. Der Gesetzentwurf soll nach aktueller Planung im Mai vom Bundestag verabschiedet und noch vor der parlamentarischen Sommerpause vom Bundesrat bestätigt werden. Die Einbindung des Betriebsrates beim Einsatz von KI sieht vor: Zur Bewertung von KI kann der Betriebsrat künftig einen/eine Sachverständige*n hinzuziehen. Die Rechte des Betriebsrats bei der Planung von Arbeitsverfahren und -abläufen gelten auch dann, wenn diese Richtlinien ausschließlich oder mit Unterstützung von KI erstellt werden. Dasselbe gilt auch bei der Feststellung von Richtlinien über die personelle Auswahl, wenn diese Richtlinien ausschließlich oder mit Unterstützung von KI erstellt werden. Zu den Personen Bianca Becker ist freigestellte Betriebsrätin bei Heidelberger Druckmaschinen AG. Moritz Riesinger und Julian Wenz sind Bildungsreferenten am IG Metall-Bildungszentrum Berlin. Lesetipp Prof. Dr. Peter Wedde: Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz, 2. März 2020. (AlgorithmWatch ist eine gemeinnützige Forschungs- und Advocacy-Organisation mit dem Ziel, Systeme automatisierter Entscheidungsfindung (ADM) und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft zu beobachten und zu analysieren.)

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