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Psychische Belastung am Arbeitsplatz - Teil 1

Aktualisiert: 11. März 2020

Was müssten Betriebsräte beim Thema Psychische Belastungen am Arbeitsplatz wissen? Lies dazu den ersten Teil unseres großen Experten-Interview mit Oliver Winkler.


Schaut euch mal unter den KollegInnen um: Immer mehr ArbeitnehmerInnen leiden unter Burnout bzw. Depressionen. Mittlerweile sind Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen in Deutschland der zweithäufigste Grund für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Dabei zeigen viele Untersuchungen auf, dass diese Leiden nicht auf die „Schwäche“ der Betroffenen zurückzuführen sind, sondern auf steigende Belastungen am Arbeitsplatz. Gerade wir als betriebliche Interessenvertreter müssen dieses Thema sehr ernst nehmen, weil der Betriebsrat das einzige Organ ist, das diesbezüglich im Betrieb kontrollieren und korrigieren kann.

Im ersten Teil dieser Reihe haben wir bei Oliver Winkler, der sich als Referent des IGM Bildungszentrum Sprockhövel im Handlungsfeld Arbeits- und Gesundheitsschutz mit psychischen Belastungen für ArbeitnehmerInnen auseinandersetzt, danach gefragt, ab wann Arbeit eigentlich zu einer gefährlichen Belastung wird und welche Faktoren hierfür verantwortlich sind. Er berichtet euch von seinen Seminarerfahrungen mit den BetriebsrätInnen zum Thema psychische Belastungen am Arbeitsplatz.

Lieber Oliver, viele aktuelle Untersuchungen zeigen, dass dauerhafte Überlastung durch Arbeit psychische Erkrankungen nach sich zieht. Wer oder was ist eigentlich für solche Überlastungen verantwortlich?

Ich habe in den letzten Jahren in den Betrieben viele Phänomene beobachtet, die sich als „Leistungsverdichtung“ zusammenfassen lassen. Leistungsverdichtung kommt beispielsweise zustande, wenn Unternehmen versuchen, mit immer weniger Personal immer mehr Aufgaben zu erledigen. Ein zweites wichtiges Problem, welches häufig geäußert wird, ist das Verhalten der Führungskräfte. Führungskräfte stehen heutzutage unter enormen Erfolgsdruck und das geben sie gerne an ihr Personal weiter. Mangelhafte Arbeitsorganisation und mangelhaftes Kommunikationsverhalten wären weitere wichtige und weit verbreitete Faktoren. Wenn die Kommunikation mit den anderen nicht klappt und bestimmte Bereiche nicht gut zusammenarbeiten bzw. Kompetenzen ungeklärt sind – dann entsteht Stress. Im Zusammenhang gesprochen geht es auch sehr stark um soziale Beziehungen zwischen den KollegInnen untereinander und zwischen KollegInnen und Führungskräften, die gerade dann sehr leiden, wenn die Anforderungen hoch oder zu hoch sind. Ebenso geht soziale Isolierung auf das eigene Wohlbefinden. Aber nicht nur Überforderung (z.B. Leistungsverdichtung) sondern auch Unterforderung können negative Auswirkungen im Menschen verursachen.

Wir alle wissen: Arbeit ist anstrengend und kann belastend sein. Aber ab wann sind ArbeitnehmerInnen eigentlich unzulässig überlastet?

Der Knackpunkt mit psychischen Belastungen ist, dass sie sich nicht so einfach messen lassen wie – sagen wir Lärm, für den es vom Gesetzgeber klare Grenzwerte gibt. Auch sind die Beanspruchungsgrenzen und Regenerationsbedarfe von ArbeitnehmerIn zu ArbeitnehmerIn unterschiedlich. Wir alle bringen nun mal nicht nur individuelle körperliche, sondern auch individuelle geistig-seelische Anlagen und Konstitutionen mit.

Aber mit der „Gefährdungsbeurteilung“ haben wir eine sehr gute Methode, um nicht nur physische, sondern auch psychische Belastungen zu erfassen. Arbeitgeber sind seit 1996 verpflichtet, für alle Arbeitsplätze eine angemessene Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, wobei psychische Belastungen gemäß Arbeitsschutzgesetz unbedingt zu berücksichtigen sind. Im Zusammenhang mit der Gefährdungsbeurteilung gibt es unterschiedliche Methoden, um psychische Belastungen zu evaluieren. Zum Beispiel Fragebögen, Workshops oder die Beurteilung von Gesprächen durch sogenannte „Rater“ (engl.).

Wenn man in einem Betrieb eine Erhebung durchführt und man dort immer wieder auf das gleiche Problem stößt, dann spricht das natürlich für eine Verantwortung der Unternehmen diese Belastung möglichst abzustellen bzw. zu minimieren. Die Faustformel lautet: Wenn 30-40% der Mitarbeiter auf dasselbe Problem hinweisen, sollten Maßnahmen ergriffen werden. Welche Maßnahmen das sein könnten, muss dann zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung ausgehandelt werden. Das Engagement des Arbeitgebers und des Betriebsrats erwarten die Beschäftigten in solchen Fällen auch unbedingt!


Schwieriger wird es, wenn beispielsweise einzelne Beschäftigte in einer Abteilung ein Problem haben (z.B. mit der Führungskraft, Mobbing, sexuelle Belästigung etc.). Einzelfalllösungen sollten daher ebenfalls geregelt bzw. betrachtet werden können.


Wie lassen sich psychische Belastungen am Arbeitsplatz eigentlich vermeiden?


Da kann man auf zwei unterschiedliche Arten ansetzen. Der Arbeitsschutz unterscheidet hier die „Verhaltensprävention“ von der „Verhältnisprävention“. Diese Begriffe klingen kompliziert, sind aber schnell erklärt. Bei der Verhaltensprävention geht es um die einzelnen Beschäftigten und dessen individuellen Gesundheitsverhalten (z.B. Ernährung, Sport, Unterweisungen, Qualifikationen..). Die „Verhältnisprävention“ beschäftigt sich dagegen mit der Gesundheitsvorbeugung im Hinblick auf die Arbeitsplatzgestaltung (z.B. Ergonomie, Gefahrstoffe, Arbeitsmittel, Arbeitszeit..). Die Arbeitsplätze mit zu gestalten ist die Kernkompetenz der Betriebsräte. Hier kennen sie sich gut aus und wissen oftmals sehr genau was dort zu verbessern ist. Natürlich funktioniert das nur wenn die Betriebsräte sich bei den Beschäftigten über die Arbeitsbedingungen informieren. Sie sind die Profis für ihren Arbeitsplatz.

Letztlich ist der Betriebsrat das einzige Organ, das diese Kontroll- oder Korrekturfunktion ausüben kann. Von staatlicher Seite gibt es zwar die Gesetze, aber die Betriebsräte klagen häufig über die mangelnden Ressourcen der Aufsicht. Wenn es schlecht läuft dauert es Jahre, dass ein Unternehmen mal kontrolliert wird. Und: Nur in etwa 50 % der Betriebe haben eine Gefährdungsbeurteilung und davon haben meiner Einschätzung nach nur etwa 20 % psychische Belastungen inbegriffen bzw. erfassen diese! Hier besteht also dringender Nachholbedarf!!

Was ist, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist und Prävention zu spät kommt? Wie lässt sich der Umgang mit psychischen Erkrankungen seitens der Beschäftigten und ArbeitgeberInnen beschreiben? Was hast du in den Betrieben beobachtet?


Bei vielen Betroffenen ist natürlich Scham mit im Spiel. Der Umgang mit psychischen Störungen ist in unserer Gesellschaft ja immer noch ambivalent. Man möchte nicht als „schwach“ oder „zerbrechlich“ dastehen. Genauso wenig als „bekloppt“ oder „plemplem“. Die ArbeitgeberInnen versuchen sich oft, aus der Affäre zu ziehen. Aber die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen liegt ganz klar beim Arbeitgeber und die Betriebsräte sollten sie auch darauf hinweisen. Und als letztes Mittel können/sollten sie auch initiativ werden und die zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze (z.B. eine Gefährdungsbeurteilung, gemäß Arbeitsschutzgesetz, inkl. psych. Belastungen) einfordern bzw. über Dritte durchsetzen.

Wie ihr euch in solchen Fällen als Betriebsrat am besten verhaltet? – Das erfahrt ihr im zweiten Teil unserer Interviewreihe zum Thema Psychische Belastungen am Arbeitsplatz! Bleibt also dran.

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