Künstliche Intelligenz wird unsere Arbeitswelt schon in naher Zukunft gehörig umkrempeln – selbst wenn nur die Hälfte dessen eintritt, was die Zukunftsforscher vorhersagen. Das Online-Seminar „Künstliche Intelligenz im Betrieb mitbestimmen“ beschäftigt sich genau mit dieser Folgenabschätzung. Wir sprachen die beiden Referent*innen Moritz Riesinger und Julian Wenz, sowie die vom Unternehmen Heidelberger Druckmaschinen freigestellte Betriebsrätin Bianca Becker.
Redaktion: Wir haben alle seit Jahrzehnten mit Computern zu tun. Sie unterstützen uns bei unserer Arbeit und machen vieles für uns einfacher. Wie lässt sich KI hiervon abgrenzen bzw. wo fängt es an, KI zu werden?
Moritz: Wissenschaftliche Definitionen besagen, dass es sich hierbei um IT-Systeme handelt, die menschenähnliche intelligente Verhaltensweisen aufweisen. In der neueren Forschung wird die Betonung auf die Trainierbarkeit und Lernfähigkeit dieser Systeme gelegt. Für die betriebliche Interessenvertretung ist es allerdings sinnvoll, erstmal eine pragmatische Perspektive einzunehmen: Unter KI verstehe ich als Betriebsrat*in oder Vertrauensmensch alle von Computern ausgeführten Tätigkeiten, die bisher von Menschen ausgeführt wurden und mit menschlicher Intelligenz assoziiert werden. Ob dahinter ein Algorithmus steht, der fest nach dem Schema „wenn…., dann….“ funktioniert oder ob sich die Entscheidungen aufgrund von Lernprozessen verändern, ist dabei zunächst zweitrangig.
Redaktion: Man könnte also sagen: KI ist am Modell des Menschen orientiert. Und es scheint um Tätigkeiten oder Entscheidungen zu gehen, die von Computern nach Maßgaben des Menschen selbständig vollzogen werden. Ist KI in den Betrieben eigentlich schon relevant? In welchen Bereichen wird sie derzeit schon eingesetzt?
Julian: Das ist von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Selbst bei manchen großen Betrieben spielt KI noch keine entscheidende Rolle. Andererseits gibt es auch Betriebe, wo KI in sämtlichen Sektoren vorkommt: in der Logistik, der Personalabteilung, der Produktion, der Forschung und Entwicklung und sogar im Marketing. Dort kann heutzutage schon überall KI angewendet werden – in unterschiedlichen Formen. Und wir gehen davon aus, dass dieser Trend sich in Zukunft intensivieren wird.
Bianca: Ich habe mich im Zuge meines berufsbegleitenden Studiums aus theoretischer Perspektive mit dem Thema auseinandergesetzt und daher am Seminar teilgenommen. Durch den Seminarbesuch ist mir erst bewusst geworden, dass wir in unserem Betrieb in der Personalabteilung bereits Künstliche Intelligenz einsetzen – nämlich in Form des Human Resource Management Tools Workday. Glücklicherweise hatten Julian und Moritz dieses System im Seminar vorgestellt, weswegen ich gewappnet war und die Einführung als Betriebsrätin sicher begleiten konnte.
Du möchtest in das Thema tiefer einsteigen?
Das Online-Seminar „Künstliche Intelligenz im Betrieb mitbestimmen“ gliedert sich in ein Einführungs- und in eine Aufbaueinheit von jeweils 90 Minuten, die innerhalb einer Woche belegt werden können. Der erste Teil widmet sich allgemein dem Phänomen KI, der zweite Teil nimmt dann stärker die Mitbestimmungsperspektive ein und es werden in Gruppen Fragestellungen bearbeitet. Somit eignet sich das Angebot sowohl für alle Aktiven und Interessierte, die sich mit dem Thema erstmalig vertraut machen möchten, als auch für Interessenvertreter, die im Betrieb mit KI konfrontiert werden. Die Teilnahme am Aufbau-Modul ist auch ohne die Teilnehme am Einführungs-Modul möglich. Hier findest du alle aktuellen Seminartermine
Redaktion: Wo seht ihr in puncto KI denn eher positive Gestaltungsmöglichkeiten für uns als Gewerkschaft? Und wo seht ihr eher Probleme, die durch die Einführung solcher Systeme entstehen können?
Bianca: Für mich ist das schwierig zu bewerten. Einerseits steht zu befürchten, dass durch die KI irgendwann nur noch die extrem hoch und extrem niedrig qualifizierten Jobs übrigbleiben. Also einerseits Entwickler*innen und Informatiker*innen, die diese Systeme entwickeln, und andererseits Ungelernte, die in das System stupide Stammdaten einpflegen müssen – während beispielsweise die Sachbearbeitung beim Einkauf wegrationalisiert werden kann. Andererseits passt dies auch zu dem Trend, dass die normalen Ausbildungsberufe unter Jugendlichen nicht mehr besonders populär sind. Viele, die eine Ausbildung gemacht haben, studieren danach noch weiter. Hieraus ergibt sich evtl. die Chance, dass man jene Jobs, die man künftig nicht mehr durch menschliche Arbeit besetzen kann, durch KI ausführen lässt. Und dies hoffentlich ohne Nachteile für die Beschäftigten – Stichwort: „Der gläserne Mitarbeiter“.
Moritz: Das ist ein guter Punkt. Greifen wir nochmal das Beispiel Workday auf: Dieses System wird in der Personalabteilung eingesetzt, um nicht nur Stammdaten, sondern beispielsweise auch die Kompetenzen und Performance-Werte der Mitarbeiter*innen zu verarbeiten. Theoretisch kann Workday Entscheidungen über Einstellungen, Beförderungen, Weiterbildungen oder Auswahl von Personal für bestimmte Aufgaben selbständig treffen. Das tangiert natürlich den Datenschutz und damit die Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Mitarbeiter*innen.
Julian: Ein weiteres Problem solcher KI-Systemen besteht ja auch darin, dass sie den Entwicklern zufolge objektive Entscheidungen treffen können. Nach deren Vorstellung sind KI-Systeme diskriminierungsfrei, kennen keine Vetternwirtschaft und so weiter. In der Realität ist es allerdings häufig so, dass sich durch die Dateneingabe und durch das Training dieser Systeme Diskriminierungen durch die Hintertüre wieder einschleichen. Wie ein Fall bei Amazon in den USA gezeigt hat, können solche Tools im Personalwesen bei Einstellungen Männer gegenüber Frauen bevorzugen, obwohl nur geschlechtsneutrale Daten zur Verfügung gestellt wurden – und zwar dann, wenn sie an den diskriminierenden Entscheidungen der Personaler geschult worden sind.
Redaktion: Aber das ist ja dann ein Problem, dass seine Wurzeln in gesellschaftlichen Vorurteilen hat, oder? Dürfen wir KI dafür verantwortlich machen?
Moritz: Natürlich hat Diskriminierung gesellschaftliche Wurzeln. Das Gefährliche ist hier nur das Versprechen der Objektivität. Denn dieser Gender Bias, dieser geschlechtsbezogene Verzerrungseffekt, bleibt gewöhnlich verborgen – im Gegensatz zum Rassismus oder Sexismus eines offen agierenden Personalers. Es ist also ganz wichtig, dass die Kolleg*innen die Einführung solcher Systeme begleiten, um hinter den Deckmantel der scheinbaren Objektivität blicken zu können.
Redaktion: Was empfehlt ihr Betriebsräten, deren Betrieb ein KI-System einführen möchte. Welche Aufgaben kommen auf sie zu und wie können sie sich darauf vorbereiten?
Julian: Wenn KI eingeführt wird, ändern sich meist viele Abläufe im Betrieb – wodurch auf Betriebsräte und Mitbestimmungsorgane viele Aufgaben zukommen. Konkret berührt das fünf mitbestimmungspflichtige Felder: die Beschäftigungswirkung, den Datenschutz, die Arbeitsgestaltung, die Qualifizierung und die Arbeitsorganisation.
Die Einführung von KI berührt fünf Felder der Mitbestimmung:
Beschäftigungswirkung
Datenschutz (mit Leistungs- und Verhaltenskontrolle)
Arbeitsgestaltung (mit Arbeits- und Gesundheitsschutz)
Qualifizierung und Personalentwicklung
Arbeitsorganisation (Arbeitszeit, Leistung, Entgelt)
Moritz: Die Einführung von KI-Systemen muss man sich als Prozess vorstellen. Das Wichtigste ist, dass der Betriebsrat von Anfang an informiert und beteiligt wird – und nicht erst, wenn die Entscheidung für ein System schon gefallen ist. Unternehmen, die ohne Betriebsvereinbarung und die Zustimmung der Beschäftigten neue Systeme implementieren, handeln im Prinzip sogar rechtswidrig.
Julian: Wir empfehlen, zunächst eine Vereinbarung über den Einführungsprozess abzuschließen. Da nicht alle Betriebsräte über Expert*innen verfügen, halten wir es außerdem für ratsam, Expertise von Außen hinzuzuziehen. Das neue Betriebsrätemodernisierungsgesetz schafft hierfür gute Voraussetzungen. Sodann müssen natürlich die Beschäftigten angehört und beteiligt werden. Letztlich ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen: Wer entscheidet am Ende – die KI oder der Mensch? Wer hat Zugriff auf die Daten und deren Auswertung? Wo liegen die Daten? Und falls diese Fragen nicht beantwortet werden, ist natürlich auch die Mobilisierungsfähigkeit der Beschäftigten bedeutend.
Neue Vorgaben zur Einbindung des Betriebsrats bei der Einführung von KI
Ende März hat das Bundeskabinett den Entwurf eines „Betriebsrätemodernisierungsgesetzes“ verabschiedet. Der Gesetzentwurf soll nach aktueller Planung im Mai vom Bundestag verabschiedet und noch vor der parlamentarischen Sommerpause vom Bundesrat bestätigt werden. Die Einbindung des Betriebsrates beim Einsatz von KI sieht vor:
Zur Bewertung von KI kann der Betriebsrat künftig einen/eine Sachverständige*n hinzuziehen.
Die Rechte des Betriebsrats bei der Planung von Arbeitsverfahren und -abläufen gelten auch dann, wenn diese Richtlinien ausschließlich oder mit Unterstützung von KI erstellt werden.
Dasselbe gilt auch bei der Feststellung von Richtlinien über die personelle Auswahl, wenn diese Richtlinien ausschließlich oder mit Unterstützung von KI erstellt werden.
Zu den Personen
Bianca Becker ist freigestellte Betriebsrätin bei Heidelberger Druckmaschinen AG.
Moritz Riesinger und Julian Wenz sind Bildungsreferenten am IG Metall-Bildungszentrum Berlin.
Lesetipp
Prof. Dr. Peter Wedde: Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz, 2. März 2020. (AlgorithmWatch ist eine gemeinnützige Forschungs- und Advocacy-Organisation mit dem Ziel, Systeme automatisierter Entscheidungsfindung (ADM) und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft zu beobachten und zu analysieren.)
Kommentare