Im Projekt „IG Metall vom Betrieb aus denken“ haben die Beteiligten ihre eigenen Anliegen aufgegriffen und in sogenannten Zukunftsreihen konkret bearbeitet. Vom Aufbau der Vertrauensleutearbeit über den Kampf um einen Tarifvertrag bis hin zur Verbesserung von Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit war die Bandbreite der betrieblichen Projekte extrem groß. Exemplarisch stellen wir hier zwei Praxisbeispiele vor. Sie zeigen, wie die Kolleg*innen eines Betriebs erfolgreich die Spaltung der Belegschaft überwunden und wie sie ein Zeichen gegen Rassismus in der Arbeitswelt gesetzt haben.
Fallbeispiel 1: Betriebliche Spaltung überwinden
In vielen Betrieben ist die Spaltung zwischen verschiedenen Teilen der Belegschaft ein weit verbreitetes Problem. Dies war auch bei der HDO GmbH, einem mittelständischen Unternehmen für Druckguss- und Oberflächentechnik in Nordrhein-Westfalen, der Fall. Durch die Ausgliederung einer Servicegesellschaft hatte sich die Belegschaft in "Beschäftigte erster und zweiter Klasse" aufgeteilt, wie es Ralf Sadrowsky, der Betriebsratsvorsitzende bei HDO, ausdrückt.
"Bei uns arbeiten insgesamt 520 Beschäftigte, allerdings aufgeteilt in zwei Betriebe," erzählt Ralf. "Über 270 Beschäftigte bei uns und etwas mehr als 250 in der HDO Service GmbH, die oft unter einem Dach, teils sogar in denselben Räumen tätig sind." Während die HDO GmbH einen Betriebsrat und Tarifverträge hatte, fehlten diese grundlegenden Schutzmechanismen in der ausgelagerten Servicetochter. Versuche, dort einen Betriebsrat zu wählen, scheiterten mehrmals.
Betriebsrat und IG Metall-Aktive entschlossen sich, das Problem anzugehen. Unterstützt durch das Projekt „IG Metall vom Betrieb aus denken“ begannen sie einen neuen Weg einzuschlagen. Ihr Ziel: Die Bildung eines gemeinsamen Betriebsrats für alle Kolleginnen und Kollegen, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zur HDO GmbH oder HDO Service GmbH.
„Wir hatten keine Ahnung, ob und wie das möglich ist“, sagt Ralf. „Real sind wir ganz klar ein Betrieb, aber wie sieht es juristisch aus?“ Doch nicht nur rechtliche Fragen waren zu klären, sondern auch ganz praktische: Wie geht man mit Gegenwind vom Arbeitgeber um? Wie können Kandidatinnen und Kandidaten gewonnen werden? Und wie beteiligt man die ganze Belegschaft am besten an der Tätigkeit des Betriebsrats? „Dass wir das alles am Ende gemeistert haben, liegt daran, dass wir gelernt haben, strukturiert, mit Plan und guten Methoden an die Sache heranzugehen.“
So wurden zunächst die offenen Fragen und Probleme gesammelt. Dann wurden Lösungswege gesucht und in sinnvolle Schritte unterteilt: kleine, lösbare Aufgaben, in geordneter Reihenfolge. Zu jedem einzelnen Schritt gab es die passenden Trainings. Dabei wurde von Anfang an das gesamte Gremium mit einbezogen. Rechtsberatung, Eins-zu-eins-Gespräche mit der Belegschaft und schließlich den Arbeitgeber über die Wahlen informieren – am Ende war ihr Engagement von Erfolg gekrönt und ein gemeinsamer Betriebsrat für alle Beschäftigten gewählt. Dies war nicht nur ein Sieg für die Mitbestimmung, sondern auch ein großer Erfolg für die IG Metall selbst. Im Betrieb konnten sie ihren Organisationsgrad nochmal um fünf Prozent steigern.
Zwischendrin mussten sie jedoch auch Rückschläge einstecken: „Es gab immer wieder Situationen, da hat nichts geklappt und wir sind in ein Loch gefallen“, sagt Ralf „Aber: ‚Scheitern ist sexy‘ war unser Slogan. Wenn etwas nicht funktioniert hat, haben wir uns gegenseitig hochgezogen und nach vorne geschaut.“
Dass sich ein Handlungskollektiv selbst Ziele steckt und dann von einem Coach dabei begleitet wird, Weg und Arbeitsschritte zu finden und umzusetzen – diesem Konzept gehört für Ralf die Zukunft. „Meiner Meinung nach brauchen wir Seminarleiter*innen, die eine Gruppe lenken wie ein Fußballtrainer: Unser Saisonziel ist, im oberen Drittel anzukommen. Ja, und ihr seid jetzt dran und müsst eure Trainingsziele selber setzen. Was braucht ihr dafür? Was können wir euch an die Hand geben? Ich glaube, das ist die Zukunft der Bildungsarbeit.“
Fallbeispiel 2: Zeichen setzen – gegen Rassismus
Die IG Metall vertritt nicht nur die Interessen von Arbeitnehmer*innen. Sie ist auch eine der größten Organisationen von Kolleg*innen mit Migrationsbiographie in Deutschland. Zahlreiche Mitglieder ohne deutschen Pass sind in Betriebsräten und anderen Gremien aktiv. Sie gewinnen mehr neue Mitglieder als jede andere Gruppe. Kolleg*innen aus und um Stuttgart wollten ihre Stimme stärker in der Organisation verankern und gleichzeitig gesellschaftspolitische Anliegen in die Öffentlichkeit tragen.
Sasun Ascioglu, Vertrauensmann bei Mahle Filtersysteme in Stuttgart und Seyma Topcuoglu, Vertrauensfrau bei Mercedes-Benz in Sindelfingen, hatten eine klare Vision: Die antirassistischen Positionen der IG Metall stärker sichtbar zu machen und die migrationspolitischen Arbeitskreise in der IG Metall besser miteinander zu vernetzen.
Unterstützt durch das Projekt "IG Metall vom Betrieb aus denken" wurde das Projekt zur Interkulturellen Woche 2022 ins Leben gerufen. Diese ist eine bundesweite Initiative, mit der Kommunen, Gewerkschaften, Migrant*innenorganisationen, Religionsgemeinschaften, Schulen und Sportvereine ein Zeichen gegen Rassismus setzen und gesellschaftliche Lernprozesse anregen wollen. Sie findet alljährlich um den 21. März, den Internationalen UN-Tag gegen Rassismus, statt.
„Wir hatten vor, uns als IG Metall Stuttgart dort inhaltlich einzumischen und präsent zu sein“, sagt Sasun. Und so brachten Sasun und Seyma gemeinsam mit weiteren jungen Kolleginnen und Kollegen aus dem Arbeitskreis Migration der IG Metall Stuttgart ihre Idee als Projekt bei „IG Metall vom Betrieb aus denken“ ein. In vier Workshop-Modulen wurde das Vorhaben konkretisiert, ganz im Sinn einer klassischen Aktionsplanung: Welche Inhalte wollen wir einbringen? Welche Akzente wollen wir setzen? Mit wem müssen wir sprechen, was für Material brauchen wir? Was müssen wir sonst noch bedenken?
Dabei wurden sie unterstützt von den Bildungsreferent*innen der IG Metall. So wurde das Vorhaben für sie zum Lernlabor für projektorientiertes Arbeiten. „Wir haben mit einer Projektumfeldanalyse – der sogenannten PUMA-Methode – angefangen und geschaut: Wer sind die Stakeholder, wo sind die Nahtstellen des Projekts?“ erzählt Sasun. „Wir haben Arbeitsmethoden erlernt, die uns inzwischen bei vielen Themen weiterbringen.
Und so ist jeder und jede auch über sich selbst hinausgewachsen: „Ich habe am Internationalen Tag gegen Rassismus eine Rede gehalten“, berichtet Seyma. „Das hätte ich mir vorher nie zugetraut. Aber in diesem Projekt habe ich mich selbst weiterentwickelt.“ Zwei Dinge haben ihr dabei geholfen: „Ich habe gelernt, wie man mit der MISLA-Methode (Motivation, Ist-Zustand, Soll-Zustand, Lösung, Appell) einen überzeugenden Redebeitrag strukturieren kann. Und ich habe in dem Projekt gemerkt, dass ich nicht allein bin. Wir sind viele, die gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir achten aufeinander und stärken uns gegenseitig.“
Diese Initiative zeigte, wie Bildung und Engagement Hand in Hand gehen können, um nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch in die Stadtgesellschaft insgesamt hineinzuwirken und auszustrahlen. Grundsätzlich wollen Sasun und Seyma den Schwung des Projekts nun nutzen, um die Vernetzung der Migrationsarbeitskreise innerhalb der IG Metall zu verbessern. „Dafür haben wir auch beim WerkstattKongress in Leipzig zahlreiche gute Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen geknüpft“, sagt Seyma. Alles in allem war das Projekt ein Erfolg, und es war nachhaltig: Alle Projektbeteiligten bekamen bei der Umsetzung des Vorhabens von den Bildungsreferent* innen neue Methoden und Instrumente an die Hand, die sie in ihrem betrieblichen Alltag und ihrem gewerkschaftspolitischen Engagement vielfältig einsetzen.
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Ihr könnt die vollständige Broschüre "Bildungsarbeit – innovativ und nah dran" auf unserer Website herunterladen und noch tiefer in die spannenden Projekte und Ideen eintauchen
Unser Dank gilt allen, die an dem Projekt und dieser Broschüre mitgewirkt haben.
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