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Die Bildung der Zukunft: Design Thinking und Empowerment

Aktualisiert: 26. Juni 2021

Anfang 2020 wurde die Seminarreihe „Wir gestalten die Zukunft“ der IG Metall ins Leben gerufen, um die Durchführung von „Veränderungsprojekten“ in Betrieben zu unterstützen. Nach rund zwanzig Monaten ist die erste Runde abgeschlossen – Zeit also, ein Zwischenfazit zu ziehen. Uns hat interessiert: Was ist das Besondere der Konzeption und hat sie sich als effektiv erwiesen? Befragt haben wir Werner Hartl, der sich in der Reihe als interner Trainer engagiert.


Kolumne Angela Kolovos zu Rechte Betriebsrat

Die Anfänge

Auf dem Gewerkschaftstag 2019 standen die Betriebe als essenzieller Handlungs-, Wirkungs- und Begegnungsraum der IG Metall im Zentrum. Wir diskutierten damals, wie wir die Betriebsrät*innen, die Jugend- und Auszubildendenvertreter*innen sowie die Vertrauensleute – also die aktiven Gewerkschafter*innen vor Ort – so gut wie möglich unterstützen können. Eine der Antworten hierauf ist die „Zukunftsreihe“, wie die Seminarreihe in Kurzform genannt wird. Sie unterstützt Veränderungspromotor*innen dabei, in ihren Betrieben wichtige Innovationsprojekte anzugehen.

 

DAS PROJEKT „IG METALL VOM BETRIEB AUS DENKEN“

Einstimmig beschlossen auf dem Gewerkschaftstag im Oktober 2019, ist das Projekt eine IG Metall-Gesamtaktion mit einer Laufzeit von vier Jahren. Der Leitgedanke ist: Die IG Metall als Organisation soll dort noch stärker stattfinden, wo wir tagtäglich arbeiten, nämlich in den Betrieben. Die wichtigsten Akteure sind 1.000 Kolleg*innen, die sich als „Veränderungspromotor*innen“ in ihren eigenen Betrieben engagieren möchten. Unterstützt werden sie durch unsere Bildungszentren, die mit insgesamt 51 Trainer*innen die Seminarreihe „Wir gestalten die Zukunft der IG Metall mit“ entwickelt haben.

366 Veränderungspromotor*innen haben sich schon auf den Weg gemacht. Ende 2021 werden sie zusammen etwa 300 bis 400 betriebliche Veränderungsprojekte bearbeitet haben. In den Projekten geht es um die Stärkung der Vertrauensleute-Arbeit, um die bessere Beteiligung der Beschäftigten, um Entgelt, Industriepolitik, Tarifpolitik, mobiles Arbeiten, Betriebskommunikation sowie um die nächsten Betriebsratswahlen. In mehreren Bezirken ist bereits eine erste Zukunftsreihe abgeschlossen worden.

 

Beschäftigten-Orientierung...

Los geht das Engagement der Trainer*innen bereits in den Geschäftsstellen vor Ort. Dort sind sie schon beim Kick Off von Projekten präsent, um bei der Definition und Klärung von Projektzielen behilflich sein zu können. Im Anschluss besuchen die Teilnehmer*innen dann die vier Seminarmodule – im zuständigen Bildungszentrum, vor Ort oder momentan auch online. Im Idealfall liegen zwischen den Modulen ca. vier bis fünf Wochen, in denen die Projekte in den Betrieben vorangebracht werden.

Die Reihe startet mit einer Einführung in eine besondere Methode des Agilen Projektmanagements, die unter dem Begriff „Design Thinking“ bekannt geworden ist. Werner Hartl erläutert die hiermit verbundenen Intentionen: „Wir versuchen, die Wahrnehmung der Teilnehmer*innen auf ihr eigenes Projekt zu öffnen und sie darin zu unterstützen, von den Beschäftigten her zu denken – also ganz ähnlich zur nutzerorientierten Produktgestaltung in der freien Wirtschaft.“


...und Verzahnung von Theorie und Praxis

Als besonders zielführend hat sich hierbei der modulare Seminaraufbau und der zeitliche Abstand zwischen den Lehreinheiten erwiesen. Denn im wiederholten bzw. „iterativen“ Austausch zwischen den Promotor*innen und den Referent*innen werden Ziele, Strategien und Vorgehensweisen immer weiter perfektioniert. Werner Hartl beschreibt diesen Prozess folgendermaßen: „Wir hören sehr genau zu, wie es in der Zwischenzeit gelaufen ist. Wir klären dann: Was hat geklappt? Was war schwierig? Was könnte man anders machen?“

Im nächsten Schritt überlegen die Trainer*innen, welche Kommunikations- oder Organisationsinstrumente die Promotor*innen nutzen können, um ihr Vorhaben optimal umzusetzen. Bei manchen Projekten geht es beispielsweise um eine strukturierte Befragung der Beschäftigten. Bei anderen geht es eher darum, gute Arbeitsstrukturen zu entwickeln. Nach diesen Reviews geht es dann zurück in den nächsten „Sprint“ – also der Umsetzung des Geplanten im Betrieb. Eine Frage steht bei allen Projekten im Vordergrund: Wie können wir im Betrieb und als IG Metall stärker werden? „Am Ende der Zukunftsreihen sammeln wir dann alle Ideen und Anregungen der Promotor*innen zur Verbesserung der ganzen IG Metall ein“, so Werner Hartl.


Wo kommen all diese neuen Begriffe her? Die Hintergründe

Ob „Agiles Projektmanagement“, „Design Thinking“, „Promotor*innen“, „Sprints“ oder auch „Reviews“: Im Seminar finden viele Begriffe und Konzepte Anwendung, die aus modernen Formen der Unternehmensführung, Organisationsentwicklung und Produktgestaltung stammen. In der freien Wirtschaft dienen diese dazu, marktorientiert zu produzieren, auf Marktveränderungen schnell reagieren zu können oder selbstverantwortliches Arbeiten der Angestellten zu ermöglichen. Doch wie stellt sich das im Kontext gewerkschaftlicher Bildungsarbeit dar? Werner Hartl über die Hintergründe: „Es geht uns nicht darum, blind einem Modetrend zu folgen – frei nach dem Motto: ‚Die Unternehmen machen das so, also machen wir das auch so.‘ Dahinter liegt die Erkenntnis, dass wir in der Vergangenheit als Gewerkschaft zu oft die Stellvertreterrolle eingenommen haben, im Sinne von: ‚Alles klar – wir lösen das Problem für dich.‘ Jetzt versuchen wir erstmal zu verstehen: ‚Was ist denn eigentlich das Thema? Was treibt die Menschen um?‘ Um dann die Beschäftigten bei der Lösung ihrer Probleme zu unterstützen. Wir leisten also ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ oder auf Neudeutsch ‚Empowerment‘ und verstehen dies als Ergänzungen zu unseren bisherigen Beteiligungsansätzen.“

 

BEGRIFFSKLÄRUNG: „EMPOWERMENT“

Mit „Empowerment“ (Englisch für „Ermächtigung“, „Übertragung von Verantwortung“) bezeichnet man Strategien und Maßnahmen, die den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften erhöhen sollen, damit diese ihre Interessen selbstverantwortlich vertreten können („Hilfe zur Selbsthilfe“). Der Begriff bezeichnet sowohl den Prozess der Emanzipation als auch den der Unterstützung von Außen, betreffende Gestaltungsspielräume zu erkennen und Ressourcen wahrzunehmen. Voraussetzung von Empowerment innerhalb einer Organisation sind eine Kultur des Vertrauens, die Bereitschaft zur Delegation von Verantwortung, nötige Qualifikationen und passende Kommunikationssysteme. Im Kontext von Management beinhaltet dieser Ansatz eine stärkere Beteiligung und Einbindung der Mitarbeiter in Entscheidungsfindungen und eine selbstständige und selbstverantwortliche Arbeitsweise. Ziel ist dort die Stärkung der Mitarbeiter*innen-Motivation sowie die optimale Nutzung vorhandener Potenziale und Fähigkeiten.

 

Ein erstes Zwischenfazit

Die „IG Metall vom Betrieb aus zu denken“ heißt also, zu verstehen, dass wir die Beschäftigten meinen, wenn wir vom „Betrieb“ sprechen. Also jene Menschen, die sich dort tagtäglich versammeln, alles am Laufen halten und der Sache einen Gutteil ihrer Lebenszeit zur Verfügung stellen. Die „IG Metall vom Betrieb aus zu denken“ heißt damit auch, den Community-Gedanken unter den Beschäftigten hochzuhalten und zu stärken. Wir teilen ihnen mit: „Ihr seid nicht allein. Wir achten sehr genau darauf, welchen Problemen und Konflikten ihr ausgeliefert seid, wir versuchen diese zu verstehen und wir unterstützen euch bestmöglich dabei, diese zu beseitigen. Denn nur zusammen können wir etwas bewegen: Wir brauchen dich – und du brauchst uns.“

Damit ist die Zukunftsreihe besonders gut geeignet, um Projekte anzupacken, die auf den einzelnen Betrieb und dessen spezifische Situation ausgerichtet sind – im Unterschied zu den flächendeckenden industrie-, regions- oder branchenbezogenen Projekten, die übergreifende politische Konzepte erfordern. Bottom up statt top down: In diesem Sinne füllt die Zukunftsreihe eine systemische Lücke.

Werner Hartl betont, dass durch den zeitlichen Abstand der Reviews der Transfer des Gelernten in die Praxis viel besser gelinge als bei einmalig stattfindendem Seminar. Der Austausch von Erfahrungen zwischen den Teilnehmenden bewirke Entwicklung, Veränderung und Prozesse des Umdenkens. Nicht zuletzt habe das einen riesigen Effekt auf die Motivation der Teilnehmenden. Denn sie wissen: „In vier Wochen bin ich hier wieder da und muss berichten.“ Als Referent genießt er es besonders, Menschen begleiten zu dürfen und zu sehen, dass es vorangeht: „Wenn ich ein Seminar mache, in dessen Verlauf ich die Teilnehmenden nur einmal treffe, bekomme ich das, was danach passiert, nie mit. Durch das Reihenformat bin ich viel näher dran an den Teilnehmenden und den Projekten in den Betrieben und das ist super! Denn: Auch ich lerne viel, indem ich beobachte, wie die Leute das anpacken!“


Zur Person

Werner Hartl ist Diplom-Soziologe sowie Systemischer Berater. Als hauptamtlicher Referent im Bildungszentrum Lohr-Bad Orb gibt er Seminare für Vertrauensleute und Betriebsräte. Kürzlich hat er eine erste Zukunftsreihe abgeschlossen.



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