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Betriebsrät*innen arbeiten agil

Aktualisiert: 26. Juli 2021


Design-Thinking, Scrum und Agile Arbeitsmethoden kannst du im Seminar erlernen
Design-Thinking, Scrum und Agile Arbeitsmethoden kannst du im Seminar erlernen

Agile Arbeit wird in immer mehr Betrieben das Leitbild für die effiziente und effektive Zusammenarbeit in Teams. Vorausgesetzt der Betriebsrat stimmt zu. Doch steckt hinter dem Begriff "Agile Arbeit"? Was bedeutet "Agiles Arbeiten" für meinen Arbeitsalltag? Darüber sprachen wir mit Daniel Kahnert. Daniel ist Bildungsreferent bei der IG Metall und absoluter Experte, wenn es um die Digitalisierung von Prozessen im Betrieb geht.

Redaktion (R): Hey Daniel, kannst du uns agile Arbeit in wenigen Sätzen erklären?

Daniel (D): Ich kann’s gerne versuchen. Es handelt sich um eine relativ neue Kooperationsform, die stark an Projekt-förmiges Arbeiten erinnert. Im Kern geht es darum selbstgesteuerte Teams zu etablieren und ihnen alle notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit sie schnell und eigenverantwortlich möglichst bedarfsorientierte Lösungen entwickeln. Dafür werden bestimmte Methoden der Arbeitsorganisation wie beispielsweise Scrum oder Design Thinking angewendet.

R: Was ist das Besondere am agilen Arbeiten?

D: Besonders hervorstechend ist sicherlich die Betonung der selbstorganisierten Gruppe. Statt "command and control" als Organisationsprinzipien geht es bei agilem Arbeiten vor allem darum, ein Team in die Lage zu versetzen, eigenständig zu arbeiten und selbst Dinge voranzubringen.

R: Wo im Betrieb lässt sich agiles Arbeiten einsetzen?

D: Grundsätzlich überall. Aber es ist eben nicht überall gleich leicht oder schwer, das umzusetzen. Beispielsweise weist der Bürobereich eines Unternehmens von Haus aus oft weniger starre Prinzipien der Arbeitsorganisation auf als die taktgebundene Fließfertigung in der Automobilbranche. Agiles Arbeiten ist sicher auch in der Produktion möglich, bedeutet dann aber, dass bestehende Produktionssysteme teilweise völlig verändert werden müssen. Das ist sicherlich eine große Hürde, zumal es keine Garantien gibt, dass die Neuorganisation entscheidende Vorteile bringt.

R: Was versprechen sich eigentlich Arbeitgeber von einer solchen Kooperationsform und inwiefern reagieren sie hiermit auf die Herausforderungen des Marktes?

D: Auf der einen Seite versprechen sich Unternehmen natürlich stets mehr Profit. Sonst würden sie so ein Thema ja nicht so pushen. Die Frage ist andererseits aber immer, wodurch mehr Geld verdient werden soll. Produktivität zu steigern ist eine Möglichkeit. Ich sehe das aber gar nicht als den wichtigsten Faktor. Wichtiger erscheint mir, dass durch Agiles Arbeiten die Chance, dass neue Produkte oder Produkt-Updates auf dem Markt bestehen, deutlich verbessert wird. Oder anders formuliert: Dadurch, dass kontinuierlich nah am Kunden gearbeitet wird, verringert sich die Gefahr, dass das neue Produkt am Bedarf vorbeigeht. Vor dem Hintergrund, dass immer noch etwa 80 % aller Neuentwicklungen am Markt scheitern, erscheinen Innovationen hierdurch wesentlich erfolgversprechender. Ein weiterer Faktor ist die Flexibilität und Schnelligkeit, mit der Unternehmen heute auf Marktveränderungen reagieren müssen. Vom agilen Arbeiten, dessen Teams ja sehr selbständig agieren und daher auch zu schnellen Neuanpassungen fähig sind, erhoffen sie sich, das besser hinzubekommen als mit den bisherigen Modellen.

R: Worin siehst du die Chancen und Vorteile für die Beschäftigten?

D: Vorteile ergeben sich nur, wenn es gut umgesetzt wird. Deshalb ist es ja auch ein Thema, bei dem wir als IG Metall und Betriebsräte dabei sein und mitgestalten müssen! Denn ich glaube, nur dann kann auch das hergestellt werden, wofür wir uns als Gewerkschaft schon immer stark gemacht haben: Nämlich für sinnstiftende und eigenverantwortliche Arbeit, die ein kontinuierliches Lernen mit sich bringt und die kommunikativ sowie kooperativ ist. Erfolg haben durch das Erreichen von selbstgesteckten Zielen in enger Abstimmung mit den Kunden und Vorgesetzten ist doch genau das, was wir mit unserem Arbeitskonzept schon immer angestrebt haben. Im Vergleich zu dem, wie gerade in großen Unternehmen gearbeitet wird, stellt Agiles Arbeiten im Idealfall also eine erhebliche Verbesserung dar — Voraussetzungen sind allerdings wie gesagt eine gute Einführung und Umsetzung.

R: Dies wirft natürlich die Frage auf, zu welchen Problemen Agiles Arbeiten für die Beschäftigten gegebenenfalls führen kann: Sind mangelhafte Einführung und schlechte Umsetzung die größten Risiken und wenn ja was bewirken sie?

D: Das größte Risiko liegt meiner Ansicht nach darin, dass die Teams, die agil arbeiten sollen, nicht losgelassen werden und am Ende eben nicht selbstgesteuert arbeiten können. Man darf ja nicht vergessen, dass die Einführung von agilem Arbeiten gerade für Führungskräfte zu völlig neuen Aufgaben führt und völlig neue Kompetenzen erfordert. Ich glaube, dass sehr viele das nicht hinbekommen. Dann werden agile Methoden formal eingeführt, aber es gibt keinen Wandel in der Kultur. Aber Kultur kann man auch nicht verordnen. So etwas braucht einerseits Zeit und andererseits einen gezielten Prozess, der die Einführung von agilem Arbeiten begleitet. Sonst erleben die Beschäftigten agiles Arbeiten einfach als zusätzliche Belastung mit unklaren Zielen und Weisungskonflikten. Dies führt dann zu viel Frust, weil die angepriesene Methode eben doch nicht so toll ist. Die entscheidende Frage lautet also immer: Wie wird das Ganze letztlich gestaltet? Gerade deswegen ist Agiles Arbeiten so ein wichtiges Thema für uns als Gewerkschaft.

R: Wo liegt die besondere Herausforderung für Betriebsräte bei der betrieblichen Einführung von agiler Arbeit?

D: Eine große Herausforderung ist, dass bei agilem Arbeiten die Beschäftigten aus ihrer Linienfunktion herausgehen. Sie arbeiten dann in einem Team zu einem bestimmten Thema in einem anderen Projekt. Da fängt es beispielsweise schon an: Ist das eine Versetzung? Wie sieht es mit dem Geld aus? Wie ist die Rückkehr geregelt? Was passiert mit der Arbeit, die da liegen bleibt, wo die Beschäftigten vorher gearbeitet haben. Das und einiges mehr sollte geregelt werden. Dazu kommen die Themen Qualifizierung und Belastung. Werden die Beschäftigten geschult? Und die Führungskräfte? Wie wird sichergestellt, dass es nicht zu höheren Belastungen kommt? So eine Einführung hat ziemlich weitreichende Folgen.

R: Welche (vorbereitende) Rolle kommt in diesem Zusammenhang der Bildungsarbeit zu? Wie kann sie erfolgreich auf die Gestaltung und Umsetzung einwirken?

D: Das Thema Schulungen habe ich ja gerade schon angesprochen. Natürlich ist es auch für die Vertreter der Beschäftigten wichtig, dass sie wissen, was da passiert. Je besser Betriebsrat und Vertrauensleute Bescheid wissen, desto besser können sie sich um die Belange der Beschäftigten kümmern. Genau da können wir mit der Bildungsarbeit ansetzen und tun das ja auch schon, indem wir Seminare anbieten, die Agiles Arbeiten als Thema haben. Dort erklären wir, was das ist, welche Methoden es gibt, welchen Kulturwandel sie implizieren, worin Chancen und mögliche Risiken liegen und vor allem wie Ansätze zur Mitgestaltung aussehen können.

R: Eine Frage, die vielleicht nicht ganz einfach zu beantworten ist, deren Beantwortung aber vielleicht eine erste Orientierung geben kann: Wie kann eine konkrete und positive Betriebsvereinbarung zum Thema agiles Arbeiten aussehen?

D: Die Frage kann so pauschal eigentlich nicht beantwortet werden. Das hängt davon ab, wo agiles Arbeiten eingeführt wird, in welcher Form usw. Punkte, auf die man sicherlich achten sollte, sind zum einen der formale Einführungsprozess und zum anderen die konkrete Ausgestaltung der Arbeit. Mit Prozess meine ich Fragen wie „stellen die neuen Aufgaben eine Versetzung dar?“. Oder: „Wer übernimmt die bisherigen Aufgaben und ist die betreffende Person diesen Belastungen gewachsen?“. Auch die Fragen danach, welche Qualifizierungen es gibt und wie der Betriebsrat eingebunden wird gehören dazu. Mit konkreter Gestaltung meine ich eher die Frage nach den anvisierten Methoden, nach der Arbeitsorganisation, nach der Arbeitszeit oder nach dem Schutz vor Belastungen. Veränderte Tätigkeitsfelder und Leistungen können natürlich auch vergütungsrelevant sein. All diese Punkte könnte man evtl. auch in getrennten Vereinbarungen regeln. Eine für die Rahmenbedingungen und den Transformationsprozess und zweite eine für die konkrete Ausgestaltung der Arbeit vor Ort.

R: Eine Frage zum Schluss: Inwiefern denken Betriebsräte selbst daran agiles Arbeiten einzusetzen?

D: Die Kollegen in Berlin bieten beispielsweise schon ein Seminar an, in dem es darum geht, ob agiles Arbeiten für die Arbeit im Betriebsrat eine geeignete Organisationsform darstellt. Man kann das sicherlich diskutieren. Eine gewisse Flexibilität auch in der Arbeit des Betriebsrats scheint im Zuge gravierender betrieblicher Transformationsprozesse auf den ersten Blick nicht abwegig zu sein. Die sicherlich nicht leicht zu beantwortende Frage ist schlicht, ob die heutigen Arbeitsstrukturen von Betriebsratsgremien noch zu den sich stark wandelnden betrieblichen Realitäten passen. Aber auch hier sprechen wir wieder von Kulturwandel, der gewollt und begleitet werden muss.

R: Lieber Daniel, Dankeschön für deine Zeit und wertvollen Tipps!

Wer sich zu diesem Thema weiterbilden möchte:


Daniel Kahnert ist Referent in unserem IG Metall-Bildungszentrum Lohr/Bad Orb. Daniel leitet die Spezialisierungs-Seminare für Betriebsräte zum Thema: Industrie 4.0 und Digitalisierung.

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